Nachdem Matrosen am 3. November 1918 in Kiel gegen ihre Befehlshaber rebelliert und einen Soldatenrat gebildet hatten, kam die Revolution am 9. November nach Berlin. Reichskanzler Prinz Max von Baden gab die Thronentsagung von Kaiser Wilhelm II. bekannt und übertrug die Regierungsgeschäfte an Friedrich Ebert, den Vorsitzenden der Mehrheitssozialdemokraten. Vom Reichstag rief Philipp Scheidemann die Republik aus. Am 10. November floh der ehemalige König von Preußen und Kaiser nach Holland. In Berlin wurde der Rat der Volksbeauftragten als provisorische Regierung gebildet. Am 11. November wurde der Waffenstillstandsvertag abgeschlossen. Der Krieg war zu Ende und verloren.
Bereits am 10. November war die Revolution nach Belzig gekommen, wo in einer öffentlichen Versammlung der Arbeiterschaft der Kreisstadt ein Arbeiterrat unter dem Vorsitz von Otto Preuß gewählt wurde. Der Arbeiterrat übernahm die Verwaltungsfunktionen sowie die Polizeigewalt in der Stadt und im Kreise.
Am 15. November rief der Belziger Arbeiterrat dazu auf, Arbeiter- und Bauernräte in den Ortschaften des Kreises Zauch-Belzig zu gründen. Die Wahlen hatten in öffentlichen Versammlungen stattzufinden und ihr Vollzug sollte dem Arbeiterrat Belzig unverzüglich mitgeteilt werden.
Am Sonntag, dem 17. November, wurde ein Bürger- und Soldatenrat in Ragösen gebildet. Mittags im Lokal von Bölke traf sich eine große Anzahl von Männern und Frauen, um die Wahl durchzuführen. „Der bittere Ernst der Zeit“, wie es in dem Bericht des Zauch-Belziger Kreisblattes hieß, hatte die Revolution nach Ragösen gebracht.
Nach der Konstituierung der Versammlung erklärte Schriftsetzer Schulz die Aufgaben, Ziele, Rechte und Pflichten des Rates. Statt „Bauernrat“ hatte man die Bezeichnung „Bürgerrat“ gewählt. Schließlich waren nicht alle Einwohner von Ragösen Bauern, doch alle waren „Bürger des deutschen Vaterlandes“. Der Bürgerrat sollte die Interessen der Ragösener vertreten und die Kontrolle über gemeinnützige Einrichtungen und Betriebe ausüben. Hauptsächlich war er aber als Unterstützung des Lebensmittelrates in Belzig gedacht und hatte dafür zu sorgen, dass die in der Gemeinde vorhandenen Lebensmittel nicht durch „Hamstern und Schleichhandel“ der Allgemeinheit entzogen wurden. Weiter sollte der Bürgerrat die Vieh- und Getreideablieferung regeln.
Die Volksernährung war in einer prekären Lage. Am 12. November, „um die Fleischversorgung der Soldaten und der Zivilbevölkerung“ zu sichern, appellierte der Belziger Arbeiterrat an die Landwirte, den Kommissaren, die mit der Abnahme des Viehs beauftragt waren, „keine Schwierigkeiten zu machen.“ Am 17. November ging gerade die vierte Woche in Folge zu Ende, in der es auf den Lebensmittelkarten kein Fleisch gab. Für den entsprechenden Abschnitt der Fleischkarte erhielt man statt Fleisch, 125 Gramm Mehl. Schon am 13. November hatte der Arbeiterrat Belzig eine Mahnung veröffentlicht.
„Die Lebensmittelzufuhren dürfen unter keinen Umständen durch die veränderten politischen Verhältnisse ins Stocken geraten, da sonst unabsehbare Folgen in wenigen Tagen unvermeidlich sind.“
Man befürchtete öffentliche Unruhen. Dabei waren die Schwierigkeiten mit dem Schwarzhandel nicht eine unmittelbare Folge des Zusammenbruchs, sondern eine Folge der Zwangswirtschaft während des Krieges.
In Ragösen wurden in den Bürgerrat fünf Mitglieder gewählt: der Dampfsägewerkbesitzer Carl Spiesecke „als Industrieller“, wie es hieß; Hüfner Friedrich Schulze und Kossät Ernst Raeck „als größere Besitzer“; eine Frau Paul und der Stellmachermeister Friedrich Wieland für die Büdner des Ortes. Zum Vorsitzenden wurde Carl Spiesecke gewählt.
Das war wohl keine besonders revolutionäre Besetzung, aber nur vier Tage zuvor hatte auch der Arbeiterrat Belzig auf einer öffentlichen Versammlung beschlossen, „bürgerliche“ Mitglieder aufzunehmen. Die Revolution mußte erst für Ordnung sorgen.
Die wichtigste Aufgabe des Ragösener Soldatenrat war, zu verhindern, daß durchreisende Soldaten auf dem Heimweg von der Front plündern. Der Rat bestand aus fünf Soldaten, für die Waffen und Munition „an maßgebende Stelle“, vermutlich beim Arbeiterrat Belzig, beantragt werden sollten. Die Männer wurden aus der Gemeindekasse bezahlt und zwar zum ortsüblichen Tagelohn. Die Wache wechselte täglich, aber alle Mitglieder mußten ständig in Bereitschaft sein. Ihren Aufenthaltsort hatten sie stets bei ihren Angehörigen zu hinterlassen. Leiter des Soldatenrates war der Förster Hugo Finsterwalder. Er hatte auch die Instandsetzung der Waffen zu überwachen. Heimkehrende Soldaten mußten sich bei ihm melden und ihre Papiere von dem Soldatenrat überprüfen lassen. Waren sie in Ordnung, konnten sie Lebensmittelkarten vom Ortsvorsteher erhalten. Schriftführer des Rates war der „Herr Fabrikbesitzer“ Arthur Spiesecke.
Am Bahnhof wurden Plakate angebracht, um die heimkehrenden Soldaten über die Situation zu informieren. Auch im Dorf hingen Plakate, die vor Plünderungen warnten.
Die Bildung des Bürger- und Soldatenrates in Ragösen leitete zwar keine grundlegende Umwälzung im Dorf ein, aber die revolutionäre Stimmung beeinflußte das Wählerverhalten in den ersten freien Wahlen. Bei der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung erhielten die beiden Parteien, die am klarsten mit der neuen Ordnung identifiziert wurden, die MSPD und die neu gegründete liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) 24,7% bzw. 53% der Stimmen in Ragösen. Das änderte sich aber rasch. Bei den Reichstagswahlen am 6. Juni 1920 erhielt die SPD nur noch 14,1%, die DDP gar nur 1,7%. Dafür wählten 44,5% der Ragösener Wähler die konservative republikfeindliche Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und 34,9% die ebenfalls konservative Deutsche Volkspartei (DVP). Die Unterstützung für die Republik war also schon dahin. Bei der nächsten Reichstagswahl vier Jahre später erhielt die DNVP in Ragösen 78,4% der Stimmen und blieb die dominierende Partei im Ort, bis sie Anfang der 30er Jahre von der NSDAP verdrängt wurde. Der Vorsitzende des Bürgerrates, Carl Spiesecke, gründete eine Ortsgruppe der NSDAP und wurde im Dritten Reich Ortsgruppenleiter und Bürgermeister.
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