Nach der Gründung der DDR erfolgte eine zunehmende Politisierung des Lebens. Diese Tatsache spiegelt sich in den Protokollen der Gemeindevertretersitzungen wieder. Allerdings ist der Name "Deutsche Demokratische Republik" erst in dem Protokoll vom 26.1.1950 erwähnt. Bis dahin war die Gründung der DDR mit keinem Wort erwähnt worden. Die Sitzung vom 26. Januar wurde mit einem Referat von Schulleiter Johannes Faber über die Nationale Front eröffnet.
"Der Redner schloß mit den Worten: Wer in der Nationalen Front kämpft, kämpft für die Einheit Deutschlands, für einen Friedensvertrag und den Abzug der Besatzungstruppen und darüber hinaus für das Glück unserer Kinder und für Deutschland. Es lebe die Deutsche Demokratische Republik, es lebe das einheitliche Deutschland, es lebe die Sowjetunion!"
Am 2. März 1950 stellte die FDJ1 den Antrag zur Anschaffung einer FDJ-Fahne und eines Pionierwimpels2. "Dem Antrag wird einhellig zugestimmt. Der Betrag wird aus dem Schuletat entnommen", heißt es im Protokoll.
Schon im Sommer 1950 begannen die Vorbereitungen für die Gemeindewahl zum 15. Oktober des Jahres. Das Protokoll einer Blocksitzung vom 25.8.1950 zeigt, wie die Kandidaten der Einheitsliste bestimmt wurden. Otto Großkopf, der am 22. Februar 1949 zum Nachfolger von Paul Müller gewählt wurde, eröffnete die Sitzung.
"Herr Neidel von der Landesregierung gab Erläuterungen darüber, welche Kandidaten aufgestelltwerden sollten. Er betonte, daß als Kandidaten nur solche in Frage kommen, die im Sinne der DDR. [sic] arbeiten.
"Herr Wolter DBD. sagte, daß auf der letzten Versammlung der DBD. der Vorschlag gemacht wurde, daß die Vorsitzenden der einzelnen Parteien und Organisationen nicht als Kandidaten aufgestellt werden sollten, da diese schon mit Arbeit überlastet sind. Herr Neidel erwiderte, es sollen die besten und fortschrittlichsten Leute als Kandidaten aufgestellt werden.
"Danach folgte eine rege Diskussion über die einzelnen Kandidaten. Gegen die Kandidaten Großkopf, Popp, Jakubowski, Berndt, Habedank, Friedrich, Schimmel, Szawalla, Lugert, Bojahr, Schiller und O. Schulze lagen keine Einwände vor.
"Gegen die Kandidaten Grosser, Radke und Töpfer wurden von der DBD. einige Einwände vorgebracht, die aber nach längerer Aussprache behoben wurden.
"R. Friedrich 23 wurde vom Kreisvorstand der DBD. nicht anerkannt. Für ihn nannte die DBD. Ernst Loth, gegen den nichts vorlag."
Bei der Wahl wurden diese Kandidaten mit 937 Stimmen gegen keine Gegenstimmen auch gewählt, zumindest war dies das offizielle Ergebnis. Max Jakubowski wurde Fraktionsvorsitzender der SED.
Trotz der "Einheitsliste" war die Wahlbeteiligung immer fast hundertprozentig. Max Jakubowski erklärte, wie es dazu kam. "Es wurde so organisiert, daß alle gekommen sind. Wir haben sie geholt. Wir haben sie praktisch zum Wählen gezwungen. Wenn, sagen wir um 2 Uhr, welche gefehlt haben, dann wurden die Läufer ausgeschickt, sie zu holen. Und vorwiegend haben wir es immer geschafft, alle zu motivieren, wir wollten kein Ärger im Dorf haben. Also haben wir es vorwiegend geschafft, die ran zu bringen. Wir haben auch Nein-Stimmen gehabt, aber wenige. Sie wurden nicht bekanntgegeben, untergemuschelt."
Auch die Rolle der einst zentralen Institution im Dorfe, der Kirche, änderte sich. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war die evangelische Kirche Staatskirche. Der Kaiser war oberster Bischof. Die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen nach dem Krieg führten zu einer Trennung zwischen Kirche und Staat. Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte das Ende des Patronats mit sich. Der Aufbau eines marxistisch-leninistischen Staates stellte die Kirche praktisch in Opposition zu dem Staat und veränderte wieder die Rolle der Kirche im Dorf, raubte ihr noch mehr an Einfluß. Ab 1949 wurde der Streit mit der Kirche immer offener ausgetragen. Diese erste Phase der Kirchenpolitik der DDR war geprägt von atheistischer und antiklerikaler Propaganda. Auf viele Menschen wurde Druck ausgeübt, aus der Kirche auszutreten. Viele Berufe waren nur Nichtchristen zugänglich, und nach und nach kehrten immer mehr Reetzer der Kirche den Rücken. Entgegen der Verfassung der DDR von 1949 wurde von dem Jahr an der Religionsunterricht aus den Schulräumen verbannt. Aus der Kirchensteuer wurde ein freiwilliger Kirchenbeitrag.
Auch in Reetz gab es offene Konflikte zwischen der Kirche und Anhängern der neuen Macht. Pfarrer Gerhard Juergensohn hielt regelmäßig Bibelstunden ab. Mal fand eine Bibelstunde am selben Abend wie eine Revolutionsfeier statt. Barbara Juergensohn: "Diese Revolutionsfeier war sehr schlecht besucht und diese Bibelstunde war sehr gut besucht.Und das hat Herr Faber erfahren. Er hat sich furchtbar geärgert und hat eine Versammlung anberaumt. Von allen Organisationen mußten Vertreter erscheinen und mein Mann wurde vorgeladen. Es wurde ihm vorgeworfen, daß er die Bibelstunde angesetzt hätte, um diese Revolutionsfeier zu sabotieren. Mein Mann hat sich so geschickt verteidigt, daß hinterher - das waren alles brave Reetzer, die da waren - die haben gesagt, der hat alle in den Sack gesteckt. Da war dann bald darauf ein Bauernball und die haben meinen Mann und mich eingeladen, was sonst nie passiert war, und da gab es sogar Bockwürste ohne Marken. Es dauerte gar nicht lange, da war der Herr Faber ab nach West Berlin."
1955 wurde die Zuteilung von Land an Herrn Faber in der Bodenreform widerrufen. Die zwei Parzellen gingen an den Besenbinder Klisch.
Im Herbst 1950 wurde Alfred Wernicke, der Sohn von Franz Wemicke, verhaftet. Am 24. November um 13.30 Uhr erschienen drei Männer in Zivil auf Wernickes Hof. Er war gerade dabei, seinen Traktor zu reparieren. Einer wies sich mit einer Dienstmarke der Kriminalpolizei aus. Sie nahmen Wernicke in einem schwarzlackierten Opel mit. Am folgenden Tag fuhr Wernickes Frau Siglinde nach Belzig, um etwas über den Verbleib ihres Mannes in Erfahrung zu bringen. Trotz ihrer Hartnäckigkeit gelang es ihr nicht, mehr zu erfahren, als daß es sich um etwas Politisches handelte. Schon am 27. November wendeten sich zehn Reetzer Mitglieder der DBD an ihre Landesleitung mit der Bitte, diese solle „sich an zuständiger Stelle für die Aufklärung der Festnahme und seine Freilassung einsetzen“. Es hieß weiter: „Die Festnahme des Landwirts Wernicke und die Ungewißheit seines Verbleibs sind der Reetzer Bevölkerung völlig unverständlich, da hier über ihn nichts Nachteiliges bekannt ist.“
Die meisten Reetzer gingen davon aus, Wernicke wäre wegen der Verteilung von Flugblättern festgenommen worden. Kurz zuvor hatte er mit Hilfe von Alfred Kniechale, der bei ihm auf dem Hof arbeitete, nachts Flugblätter an alle Reetzer Haushalte verteilt, Flugblätter, die er zwei Tage vorher in West Berlin geholt hatte. Auf den Platz der Einheit hatte er einen Haufen kleiner Zettel, auf dem Stalin mit einer Peitsche abgebildet war, geschmissen. Bei den politisch Verantwortlichen im Dorfe hatte er schließlich eine politische Broschüre über „Wahlbetrug und Wahlmanöver in der Ostzone“ hinterlassen.
Wernicke ging davon aus, daß seine Beteiligung an der Aktion geheim geblieben war. Lediglich Richard „Amtmann“ Friedrich, einer der Unterzeichner des DBD Briefes, hatte vorher gewußt, was Wernicke vor hatte, und ihm davon abgeraten. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR erfuhr Wernicke, daß praktisch das ganze Dorf Bescheid wußte, aber dichtgehalten hatte. Die Reetzer, auch die neue sozialistische Führung, hatten so konsequent geschwiegen, daß von der Aktion die sowjetischen Behörden nie etwas erfahren haben und sie war nicht der Grund für seine Verhaftung.
Alfred Wemicke wurde zunächst nach Brandenburg gebracht und fünf Tage verhört. Anschließend kam er nach Potsdam, Lindenstraße 10. Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte ihn wegen Teilnahme an einer illegalen Organisation und Spionage zu 25 Jahren Strafarbeitslager mit Enteignungsbeschlagnahme.
1947, in dem Glauben, seinem Vater helfen zu können - die Tatsache des Todes seines Vaters war zu der Zeit noch nicht bekannt - und weil er das sozialistische Regime ablehnte, hatte Wernicke sich einer Widerstandsgruppe angeschlossen, einer Gruppe, deren Leiter schon 1948 verhaftet wurde, denn die Gruppe war von Anfang an von einem Spitzel unterwandert. Dennoch blieb Wernicke bis 1950 unbehelligt.
In Mai 1951 kam Wernicke nach Bautzen, wo er bis 1953 saß. Nach Brandenburg zurückgebracht, erkrankte er an einer Rippenfellentzündung und Tuberkulose und wurde arbeitsunfähig. Entlassen wurde er am 15. Januar 1954. Er ging nach Flensburg. Nach seinem Verschwinden war seine Frau mit den drei Kindern nach West Berlin geflüchtet und später nach Flensburg gezogen. Drei Jahre nach seiner Entlassung ist die Familie nach Amerika zu den Jungferninseln ausgewandert. Bis 1989 wurde Wernicke, der später nach West Berlin zog, von der DDR- und der sowjetischen Sicherheit beobachtet.
Am 21. Dezember 1950 wurde eine Feierstunde anläßlich des 71. Geburtstages Josef Stalins abgehalten. Der Bürgermeister schickte darüber einen Bericht an den Rat des Kreises. "In einer von Musikstücken, Gedichten und Liedern würdig umrahmten Feier-stunde [sic] zum 71. Geburtstag des Generalissimus Stalin, führte Frl. Bals in ihren Referat aus, daß Stalin aus einer Arbeiterfamilie stammt." Die damals gültige Legende seines Lebens wurde erzählt, wie er sich schon in früher Jugend "für die Rechte der Arbeiter einsetzte", wie er acht Mal nach Sibirien verbannt wurde.
"Sein Wille sich für die Arbeiter einzusetzen, konnte aber trotzdem nicht gebrochen werden. Als Stalin mit Lenin das erste Mal zusammenkam, erkannten beide, daß sie zueinander gehörten. So stimmten sie ihre Arbeit in Zukunft füreinander ab. Am Grabe Lenins schwor Stalin, daß er das Werk Lenins fortführen werde. Durch den 2. Weltkrieg wurde aber die SU. in ihrer Aufbauarbeit unterbrochen. Obwohl die Faschisten der SU. großen Schaden zugefügt haben, kennen die Menschen der SU. keinen Haß zum deutschen Volk. Stalin sagte dies in seinem Ausspruch, die Hitler kommen, die Hitler gehn, aber der Deutsche Staat, daß [sic] Deutsche Volk bleibt bestehn. Er half demzufolge auch dem Deutschen Volk beim Aufbau einer neuen demokratischen Ordnung. Mit den Worten, Stalin ist der erste und größte Friedenskämpfer der Welt und wir können uns glücklich schätzen ein Zeitgenosse von ihm zu sein, schloß Frl. Bals ihr Referat."
Anschließend wurde die folgende Resolution einstimmig angenommen:
"Während Generalissimus Stalin in seinem historischen Telegramm von 13. Oktober 1949 erklärte, wenn die Sowj.-Völker und das deutsche Volk dieselbe Entschlossenheit an den Tag legen werden, für den Frieden mit der gleichen Anspannung der Kräfte zu kämpfen, mit der sie den Krieg führten, so kann man den Frieden in Europa für gesichert halten. Während Ministerpräsident Grotewohl in der Erfüllung der Prager Beschlüsse3 in seinem Brief an Adenauer konkrete Vorschläge zur Schaffung der Einheit Deutschlands macht, droht der Lakai der Imperialisten, Präsident Truman, mit der Anwendung der Atomwaffe gegen das um seine Freiheit kämpfende koreanische Volk. Wir zu Ehren des 71. Geburtstages des Generalissimus Stalin versammelten Einwohner der Gemeinde Reetz erklären deshalb, uns verstärkt für die Schaffung der Einheit Deutschlands und damit zur Sicherung des Friedens einzusetzen, indem wir einen umfangreichen Briefverkehr nach Westdeutschland aufnehmen. Wir sind der Meinung, daß wir damit unserem großen Vorbild, dem ersten Friedenskämpfer der Welt, Stalin die besten Geburtstagsgrüße entbieten."
Die Protokolle der Gemeindevertretersitzungen verzeichnen eine zunehmende Beschäftigung der Gemeindevertreter mit Fragen der Deutschland- und internationalen Politik. Referate waren häufig auf der Tagesordnung, so zum Beispiel von Eva Bojahr am 14. März 1951 zum Thema "Unser verstärkter Kampf um Frieden und Einheit, Appell der Volkskammer, Stalin-Interview mit der Forderung Deutsche an einen Tisch". Resolutionen wurden verabschiedet. Das Ehepaar Rosenberg, das in den USA wegen Spionage zum Tode verurteilt wurde, erfuhr die schriftliche Solidarität der Gemeindevertreter von Reetz durch einen Brief an den amerikanischen Präsidenten Eisenhower:
"Auch wir Bäuerinnen und Bauern der Gemeinde Reetz zählen uns zu der großen Friedensfront, die Sie Herr Eisenhower, zerschlagen wollen. Deshalb wollen wir auch zur Erhaltung des Friedens beitragen, indem wir uns zum Tag der Bereitschaft verpflichten in diesem Jahr ingesamt:
121 Schweine
21.800 kg Milch
1.830 Stck. Eier
als freie Spitzen über unser Soll abzuliefern."
Solche Resolutionen und Briefe entstanden allerdings nicht in der Gemeindevertretung von Reetz, sondern sie wurden von der Kreisleitung der SED vorgefertigt.
Natürlich wurden auch Themen besprochen, die das Dorf unmittelbarer betrafen, so z.B. der Bau eines Sportplatzes oder den Ausbau der Badeanstalt. Oder am 9.7.1951, "Weiter wurde beschlossen, Kartoffelkäfersuchtagen alle Personen im Alter von 60 Jahren Frauen, 65 Jahren Männer befreit sind, soweit sie keine Kartoffeln angebaut haben."
Unter dem 13.6.1952 liest man:
"Herr Ihlow erhielt das Wort und bat die Gemeindevertretung, zu beschließen, daß in Zukunft wieder 8 Personen bei Beerdigungen die Leiche tragen, da seiner Ansicht nach 6 Personen zu wenig sind. Außerdem machte er darauf aufmerksam, daß ein Tau zum Herablassen der Särge schadhaft ist, und darum ein neues gekauft werden muß."
Die Waldbrände waren nicht die einzigen Schäden, die von den sowjetischen Truppen verursacht wurden, und sie waren nicht einmal die größte Belastung. Bei Manövern fuhren sie mit Panzern durch das Dorf, nicht einzeln, sondern mit Hunderten von Panzern. Es bedeutete eine erhebliche nervliche Belastung. Thea Schulze: "Wir hatten richtige Angst gehabt, wenn sie nachts gefahren sind. Wir haben hier bloß so einen schmalen Garten und man lag im Bett - wir schlafen direkt am Fenster - da hat man gedacht, die kommen ins Haus." Aber physische Schäden wurden auch angerichtet. Erwin Schulze: "In unserer Straße waren die Steine in der Mitte alle rausgedrückt worden, nachoben. Zum Teil waren sie schon rausgekommen. Dann wurden sie von den Leuten an die Seite gelegt oder beseitigt, weil es anders gar nicht mehr ging. Ich kann dir heute noch Panzerschäden zeigen in unserem Bad oder an unserem Giebel. Wir haben den Giebelbefestigen müssen, denn wenn wirdas nicht gemacht hätten, wäre der Giebel rausgefallen."
Oft hatten die Menschen Schwierigkeiten, die Straße zu überqueren, um zum Acker zu kommen oder kamen mittags kaum nach Hause. Thea Schulze: "Das war der Ackerweg und der Staub kam immer mit. Wir haben unsere Häuser nicht erkannt. Und einmal war es sehr modderig draußen, da hatten wir auf der Straße nacher so einen Modder, den mußten wir erstmal wegräumen, als sie durch waren."
Dennoch waren die Reetzer der Situation ausgeliefert. Protest dagegen nutzte nichts. Erwin Schulze: "Es durfte keiner eine gegenteilige Meinung dazu haben. Das war höchstes Politikum, die Manövergeschichte. Und wer da irgendwie Kritik geübt hatte und sich aufgelehnt dagegen, der hätte Unannehmlichkeiten gekriegt. Aber gewaltige. Die SED stand voll dahinter. Die waren in der Argumentation den Russen gleichgesetzt. Das waren Friedenshandlungen. Diese Sache war notwendig, um den Frieden in der Welt zu sichern. So wurde argumentiert. Also wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns."
In jenen Jahren blieb auch die Reetzer Schule vom Kalten Krieg nicht verschont. Im Gegenteil, sie war eine Stätte der politischen Indoktrination. Im Fach Erdkunde hieß die Heimat noch Deutschland und im Lehrheft Deutschland lernten die Kinder noch etwas über das Rheinland und Bayern, aber von Ausgewogenheit und Objektivität konnte nicht die Rede sein. Über die Bauern in der DDR, zum Beispiel, hieß es, "Der Wohlstand unser Bauern wird immer größer." Über die Bauern in "Westdeutschland" dagegen liest man: "Trotz fleißiger Arbeit geraten sie immer mehr in Not. Viele von ihnen wurden von Haus und Hof verjagt, weil die amerikanischen Kriegstreiber ihre Dörfer und Äcker in Übungsplätze für die Angriffsarmeen umgewandelt haben."25 In dem Geschichtsheft einer Reetzer Schülerin vom Anfang 1952 liest man über die geschichtliche Entwicklung seit dem Ende des Krieges: "Unter der genialen Führung Stalins schreitet das Sowjetvolk sicher vorwärts auf dem Wege vom Sozialismus zum Kommunismus."
Sogar die Diktate im Fach Deutsch wurden zum Zwecke der Propaganda benutzt. Einige Kostproben aus dem Heft einer Reetzer Schülerin:
Diktat vom 30. November 1951:
"Durch die Große Sozialistische Oktoberrevolution haben die Werktätigen und armen Bauern Rußlands sich von dem Joch der kapitalistischen Ausbeutung befreit...Die Großbauten des Kommunismus geben Zeugnis von den herrlichen Erfolgen, die es unter der weisen Führung Lenins und Stalins erreicht hat. Heute steht die Sowjetunion als festes Bollwerk des Friedens auf der Wacht, um die kriegslüsternden Pläne der westlichen Imperialisten zunichte zu machen."
Diktat vom 7. März 1952:
"Der Bonner-Separatstaat wird von den Westmächten zu einer Kriegsbasis ausgebaut, die Bonner Regierung hat ein Wehrpflichtgesetz und den Generalkriegsvertrag4 angenommen und ist somit in den aggressiven Kriegsblock der Imperialisten einbezogen worden."
Diktat vom 2. Mai 1952:
"Adenauer, der getreue Lakai des Peterbergs, und sein Anhang, die westdeutschen Imperialisten und Faschisten wollen Deutschland in einen neuen Krieg stürzen. Ihnen und ihrem Werk gilt unser Haß und Kampfansage."
Im Juli 1952 beschloß die 2. Parteikonferenz der SED die "planmäßige Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR". Das bedeutete eine Verschärfung des politischen Kampfes. Jene Jahre waren Zeiten großer politischer Spannung in der DDR und zwischen den beiden deutschen Staaten. Der Kalte Krieg wurde auch in Reetz ausgefochten. Ein Berichterstatter aus Reetz schrieb im August 1952 in der Märkischen Volksstimme:
"Die beiden Jungen Pioniere Heinz Kistler und Wolfgang Gollo haben es sich zur Pflicht gemacht, täglich Kartoffelkäfer zu suchen. In wenigen Tagen sammelten sie 7000 Stück dieser Ami-Plage. Wir sind stolz auf solche Pioniere, denn sie sind ein Vorbild für unsere ganze Gemeinde."
Es wurde damals behauptet, die Amerikaner hätten aus Flugzeugen die Kartoffelkäfer auf die DDR abgeworfen. Und zum 7. Oktober 1952 hieß es:
"Am 3. Jahrestag der DDR verpflichteten sich die Einwohner von Reetz, weiterhin den Aufbaudes Sozialismus mit allen zur Verfügung stehenden Kräften zu fördern und jeder Form vonKriegs- und Antisowjethetze entschlossen entgegenzutreten. ,Wir sind gewillt, unsere demokratischen Errungenschaften gegen die Feinde des Volkes zu verteidigen.‘"
In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens nach dem Beschluß der 2. Parteikonferenz gab es eine Verschärfung des politischen Druckes. Ein Bericht in der Märkische Volksstimme über das Erntedankfest 1952 in Reetz trug den Titel, "Demonstration gegen die Kriegsbrandstifter",
"Am 5. Oktober 1952 begingen die Einwohner des Ortes ihr diesjähriges Erntefest. Der Auftakt des Feiertages war ein Festzug, den die werktätigen Bauern in Reetz zu einem Demonstrationszug gegen die Kriegsbrandstifter der USA und ihrer Helfershelfer in Westdeutschland gestalteten. Die Losungen, die am Traktor, an den Anhängern und bäuerlichen Fahrzeugen mitgeführt wurden, ließen deutlich genug erkennen, daß unsere werktätigen Bauern von Reetz den Geist unserer Zeit, aber auch die Gefahr eines neuen Weltkrieges, der von seiten der imperialistischen Mächte den friedlichen Aufbau bei uns in der DDR bedroht, verstanden und erkannt haben. Fort mit Adenauer! - Es lebe die DDR! - Einheit-Frieden-Aufbau! - Vorwärts im Kampf um den Aufbau des Sozialismus, das waren die Losungen, die die Demonstration vervollständigten.
"Daß keiner zu klein war, um mitzuhelfen, bewiesen die Kleinen bei ihren Reigen, Tänzen, Vorträgen und musikalischen Darbietungen. Ebenso zeigten die Volkstänze der Sportvereinigung Reetz ein hohes Niveau, was von allen Anwesenden durch reichlich gespendeten Beifall anerkannt und belohnt wurde. Ein Vertreter des Kreisverbandes der VdgB (BHG) Belzig sprach über die Bedeutung des Erntefestes, des Kampfes um das Getreide und seine Krönung als Abschluß des Sieges über das Getreide. Der Redner stellte unter anderem fest, daß der BGH-Bereich Reetz der erste im Kreise ist, der die Selbstverpflichtung: Bis zum Deutschen Bauernkongreß jeder Bauer eine Selbstverpflichtung! schon Ende September erfüllt hat. Bravo-Rufe und starker Beifall belohnten die Ausführungen des Referenten. Nach Ablauf des gesamten Kulturprogrammes, welches noch allerlei Ueberraschungen brachte durchfortschrittliche Sketche und Aufführungen der Jüngsten des Dorfes, ging man zum gemütlichen Teil über. Dieses Erntefest in Reetz bewies eine sehr gute Zusammenarbeit aller Parteien und Organisationen."
Sogar die Weihnachtsfeier des Frauenbundes stand im Zeichen des Kalten Krieges.
"Vor dem Fest fand in der Gastwirtschaft Heinrich eine Weihnachtsfeier der Mitglieder des DFD mit ihren Kindern und Angehörigen sowie Vertretern der Parteien und Massenorganisationen statt. Den kulturellen Teil führte der Chor des DFD sowie einzelne Mitglieder der FDJ und der demokratischen Sportbewegung durch. An den Liedern und Vorführungen erfreute sich jung und alt. Die Freundin Senst wies in ihrem Referat auf den Ernst der Lage, in der sich unser Deutschland befindet, hin und rief allen zu, alles zu tun, um die Verhinderung der Unterzeichnung des Generalkriegsvertrages zu erreichen. Wir wollen noch recht oft mit unseren Kindern fröhliche Stunden verleben und nicht in ständiger Angst um das Leben unserer Kinder bangen. Wir alle wollen den Frieden. Wir werden ihn erhalten, wenn wir in enger Freundschaft mit der Sowjetunion sowie mit allen friedliebenden Völkern aktiv dafür kämpfen und ihn verteidigen."
Am 1. Oktober 1952 trat Dr. Günther Thal seinen Dienst als Reetzer Pfarrer an. Er war 1902 in der Stadt Brandenburg geboren, der Sohn eines Mittelschulrektors. In Brandenburg machte er sein Abitur und studierte in Berlin, Halle, Leipzig, und Tübingen. Nach dem Predigerseminar in Wittenberg diente er zwei Jahre dort als Jugendpfarrer. Danach nahm er ein Studium der Pädagogik in Göttingen auf, in dem Fach er auch promovierte. Seine erste Pfarrstelle war in Calau. Von dort ging er nach Groß-Jehser5.
Im Februar 1943 wurde Dr. Thal Soldat und kehrte erst Ende September 1948 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. 1952 entschloß er sich zu heiraten. Das Paar suchte eine neue Pfarrstelle. Seine Frau Irmgard erinnert sich, wie sie nach Reetz kamen. "Wir lasen auch die Potsdamer Kirche und hatten uns auch in Oderbruch einiges angesehen. Dann war Reetz ausgeschrieben als Pfarrstelle und mein Mann sagte, wenn im Fläming eine Pfarrstelle ausgeschrieben ist, sind die eigentlich immer schnell weg. Also muß es ganz schön hier sein. Wir haben uns Reetz erst angesehen, heimlich, still und leise. Dann hat mein Mann sich beworben." Das Paar heiratete am 14. Oktober in Berlin und traf Ende des Monats in Reetz ein.
Dr. Thal trat seine Stelle mitten in einer verschärften Kampagne gegen die Kirche an. Während der ersten fünf Monate des Jahres 1953 wurden in der DDR etwa 50 Geistliche, Laienhelfer, und Diakone von der Staatssicherheit verhaftet, circa 300 Oberschüler, die Mitglieder der Jungen Gemeinde waren, wurden von der Schule verwiesen. Der Jungen Gemeinde wurde "staatsfeindliche Tätigkeit" vorgeworfen.
Eine Eintragung in das Protokollbuch des Reetzer Gemeindekirchenrates vom 29. Januar 1953 läßt die Atmosphäre der Zeit ahnen.
"Der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates berichtet über die kirchliche Lage und hebt besonders heraus, die massiven Angriffe gegen die Junge Gemeinde, gegen den Bischof und weist hin auf die schweren inneren Konflikte, in die unser Volk durch die Remilitarisierung inWest und Ost gekommen ist."
Die Aktivitäten der Jungen Gemeinde wurden immer weiter eingeschränkt.
Dabei haben die meisten nur schöne und durchaus harmlose Erinnerungen an die Junge Gemeinde. Erika Lehmann: "Pfarrer Thal hat die Junge Gemeinde an sich gerissen. Der hat Bücher vorgelesen. Es war wie ein Fortsetzungsroman. Du mußtest das nächste Mal hin. Du wolltest ja wissen wie es weitergeht. Wenn er das vorgelesen hat, war es so faszinierend, man hat das richtig miterlebt. Der hat mit uns Spiele gemacht." Erst mit der Einleitung des sogenannten "Neuen Kurses" am 9. Juni 19536 wurde die Kampagne gegen die Kirche entschärft.
Die Propaganda konnte aber die Unzufriedenheit nicht überdecken oder ihr entgegen wirken sollte. Und es gab durchaus konkrete Gründe für die Unzufriedenheit, was sogar in der Presse zu lesen war. In einem Bericht vom 4. Dezember 1952 schrieb Curt Kaufmann über die Leistungen des BHG-Bereichs Reetz.
"Alle Bauern aus dem BGH-Bereich Reetz haben volles Vertrauen zu unserer Regierung. Sie alle wollen den Sozialismus aufbauen helfen. Dazu ein paar Beispiele. Alle drei Gemeinden stehen mit anderen Gemeinden im sozialistischen Wettbewerb. Bis zum 14. September konnte der BGH gemeldet werden: 100prozentiger Abschluß von Selbstverpflichtungen. Alle Bauern sagen: Erst geben wir unser Soll an unsere Regierung ab, damit unsere Werktätigen in den Betrieben rechtzeitig versorgt werden. Es wurde von unseren Bauern alles getan, um das Soll so schnell wie möglich zu erfüllen. So können unsere Bauern mit Stolz auf den 25. November sehen und können sagen: Wir haben unser Soll an Schwein, Rind, Milch, Eiern, Getreide, Kartoffeln und Oelsaaten mit 100 Prozent erfüllt und übererfüllt. Darüberhinaus haben unsere Bauern aber noch eine große Anzahl an freien Spitzen verkauft."
Gerade weil Leistungen gebracht wurden, kam es zu Unzufriedenheit mit der zentral gelenkten Wirtschaft.
"Unsere Bauern haben nun auch Forderungen an unsere Regierung an Futtermitteln und Kohle. Mit Recht fragen nun die Bauern bei der BHG Reetz an. Wo bleiben unsere Futtermittel und Kohlen, die wir zu beanspruchen haben. Von der BHG Reetz wurde alles getan, um unsere Bauern zufriedenstellen zu können, aber erreicht wurde bis zum heutigen Tage noch nichts. Vom VEAB Belzig liegt nun schon vier Wochen die Bestätigung von 450 dz Roggen- und 600 dz Weizenkleie aus Leipzig vor. Die anderen Futtermittel sollen aus Treuenbrietzen und Brandenburg kommen. Wir haben jetzt aber erst 900 Zentner Kleie bekommen und über 3000 Zentner werden jetzt noch benötigt. Es mußte an erster Stelle auch der VEAB7 Belzig wissen, wo die meisten freien Spritzen anfallen, denn die BHG kann es erst nach acht bis zehn Tagen erfahren, wenn das Geld von dem VEAB an die BHG kommt. Deshalb verlangt die BHG Reetz auch von jetzt ab gleichzeitig bei jeder Ueberweisung, welche Mengen an Futtermittel zu bestellen sind.
"Mit Kohle ist es nun natürlich noch schlechter. So wurden im Oktober für Anfang November 120 t Kohle beantragt. Bekommen haben wir bis zum heutigen Tage noch keine. Die BHG Reetz hat nun alles versucht, um Kleie und Kohle für unsere Bauern heranzubekommen, aber nicht nur von Belzig, sondern auch von Potsdam bekommen wir die Antwort: Wir haben keine Waggons frei zur Abfuhr. Unsere Bauern fordern nun mit Recht von unserer Regierung eine Klärung. Weiterhin fordern sie unsere Werktätigen auf, sich über diese Mängel zur Diskussion an die ‘Märkische Volksstimme‘, zu wenden."
Die zentrale Planwirtschaft zeigte schon früh, daß sie nicht ohne Tücken war. Am 3. September 1952 berichtete die Märkische Volksstimme:
"Am 26. August 1952 erhielt die VdgB(BHG) Reetz von dem VE8 Ziegelwerk Voigtstädt in Thüringen einen Waggon (7000 Stück) HO9 -Ziegelsteine. Diese Ziegel wurden von der VdgB(BHG) Reetz bei der HO beantragt und geliefert.
"Der Waggon traf, wie gesagt, am 26. August 1952, gegen 6 Uhr morgens auf dem Bahnhof Wiesenburg ein. Gleich darauf begann die BHG Reetz, diesen Waggon zu entladen. Mit Erstaunen mußte nach einigen Minuten festgestellt werden, daß die Firma Senst, Reetz, den Auftrag hatte, im selben Waggon ebenfalls 7000 Ziegelsteine zuverladen, um diese nach Berlin abzusenden.
"Wir fragen: Wo ist hier die Leitung nicht in Ordnung? Können wir durch diese bürokratischen Maßnahmen die Selbstkosten in der Verwaltung senken und die Belastung der Eisenbahn vermindern? Wäre es nicht einfacher gewesen, den Waggon Ziegel aus Thüringen, welcher die gleiche Qualität hatte, wie die Ziegel der Firma Senst in Reetz, nach Berlin zu schicken? Die VdgB(BHG) Reetz konnte doch Ziegel von der Firma Senst, die sich im Ort befindet, abholen. Stellen wir uns einmal vor, die BHG Reetz war mit der Entladung des halben Waggons bereits fertig und schon begann die Firma Senst, die entladene Seite des Waggons wieder zu beladen!
"Hinzuzufügen ist noch, daß die VdgB(BHG) Reetz mit der HO-Leitung in Treuenbrietzen verhandelt hat mit dem Ziele, die Ziegel doch von der Firma Senst zu beziehen. Dieser Antrag wurde an die DHZ10 -Baustoffe in Potsdam weitergeleitet und von dort abgelehnt. Ist es nicht an der Zeit, daß die Werktätigen solche Menschen, die das veranlaßt haben, ablehnen."
Die Firma Senst hatte Probleme die staatlichen Planvorgaben zu erfüllen. Zwar hatte Richard Senst seinen Betrieb 1936 mit der modernsten Technik ausgestattet, aber im Jahre 1953 war diese Technik verschlissen, und der Betrieb war ohne Senst. Am 26. Juli 1947, mit 57 Jahren, war Richard Senst, genannt "Pfiffig", der für die Gemeinde so viel geleistet hatte, gestorben. Er hatte im Transformator beim Roten Strumpf gearbeitet und wurde von einem Blitz getroffen. Nach seinem Tode wurde die Firma als “Geschwister Senst, Sägewerk und Ziegelei” weitergeführt. Seine Tochter Ilse Heidel erinnert sich: “Der Druck und die Kontrollen wurden zu groß. Es gab leider nur den schmerzlichen Weg, die geliebte Heimat zu verlassen.” Ihre Flucht war schon länger geplant. Sie hatten nach und nach Pakete zur Post in Reetzerhütten gebracht, die dann in den Westen geschickt wurden. Obwohl sie schon länger beobachtet wurde, gelang es ihnen Ende Februar 1953 unbemerkt zu flüchten. So beleibt wie Richard Senst in Reetz gewesen war, hatten seine Frau und Kinder keinen so engen Kontakt zu Reetz. Zur Schule waren sie erst in Reetzerhütten und später in Zerbst. Am 6. März 1953 wurde die Reetzer Ziegelei "volkseigen".
Am 16. Juni 1953 konnte man in der Märkischen Volksstimme über Reetz lesen:
"Auf einer Versammlung gaben 62 werktätige Bauern die Verpflichtung ab, insgesamt 6000 Kg Schweinefleisch, 2400 Kg Milch und 1230 Eier zu Ehren des 60. Geburtstages des Generalsekretärs der SED über das Soll hinaus abzuliefern. Auch ihre Erntearbeiten stehen unter der Losung: ‘Das erste Getreide dem Staat‘."
Schon am selben Tag begann der Aufstand der Arbeiter in Berlin, der sich am 17. Juni fast über das ganze Land ausbreitete. Die Unruhen gingen auch nicht am Kreis Belzig vorbei. In Belzig wurden Funktionäre der SED über den Marktplatz getrieben. In Reetz versteckte sich der Bürgermeister. In der Reetzer Kneipe an der Belziger Straße wurde gefeiert. Mit dabei war auch der SED-Funktionär Max Jakubowski. "Ich war auch mit drin. In der Kneipe haben wir gesoffen und gesungen, das ’Deutschlandlied’ Ich war Kommunist. Und besoffen. Ich habe gar nichts dabei gedacht. Ich habe mitgefeiert, den Aufstand gefeiert." Im Roten Strumpf wurden dann sowjetische Panzer aufgefahren. Sobald diese Nachricht die Kneipe in Reetz erreichte, wurde es ruhiger, die Menschen gingen auseinander.
Irmgard Thal erinnert sich an den Tag nach dem Aufstand: "Wir hatten in den Jahren, in denen wir in Reetz waren, in den Pfarrhäusern die Pfarrkonvente abwechselnd, im Sommer vor allen Dingen, damit auch die Familien sich immer zusammenfanden. Es war auch nötig, daß die Pastoren und ihre Familien mal zusammenkamen, denn es waren sonst wenige mit denen man über andere Dinge sprechen konnte. Wir hatten keinen Anspruch auf einen Urlaubsplatz. Andere fuhren in FDGB11 -Heime oder ins Ausland, die sich das leisten konnten. Da hatten wir den ersten Pfarrkonvent, es war aber Wochen vorher festgelegt worden, am 18. Juni ist Pfarrkonvent in Reetz. Wir hatten uns gut vorbereitet, alles Bahn bis Wiesenburg, die Ehepaare. Nun war am 17. Juni Aufstand und zugleich Ausnahmezustand. Was wird ja nun am 18. werden? Aber wir hatten uns darauf eingerichtet und siehe da, sie kamen. Es durften nicht mehr als drei zusammensein auf der Straße. Die kamen immer zu zweit angeradelt mit dem Fahrrad.Es war ja auch für die Kirche eine kritische Situation. Die Pfarrer hatten zum Teil heranwachsende Kinder, die von der Schule geschickt wurden. Es war schon eine schlimme Sache. Und vor dem Pfarrhaus stand ein russischer Soldat mit aufgepflanztem Bajonett und die hatten sich sicher erkundigt, was da los war. Aber wir waren sehr vergnügt zusammen. Wir hatten uns nicht in den Garten gesetzt, wie es eigentlich gedacht war. Wir saßen eben drin, weil vieles zu besprechen war. Und nachmittags fuhren sie zu zweit alle wieder ab." Ein paar Tage patroullierten sowjetische Posten im Dorfe und dann war der Spuk vorbei.
Man ging schnell zu den Tagesgeschäften über. Bald wurde wieder lobend über die Leistungen der Reetzer Bauern berichtet.
"Die Gemeinde gehört zu den besten in der Ablieferung von Rindern. 67 Prozent ihres Solls hat sie bereits erfüllt. Erfreulich ist, daß die Schweineablieferung 93,2 Prozent, die Milchablieferung 97 Prozent und die Eierablieferung 91,9 Prozent beträgt."
1 Die Freie Deutsche Jugend, 1947 gegründet als überparteiliche Jugendorganisation, war schon 1950 längst eine uniformierte sozialistische Jugendorganisation.
2 Die Organisation der Jungen Pioniere, unter Leitung der FDJ, sollte helfen die Kinder
vom 6. Lebensjahr an zu jungen Sozialisten zu erziehen. Ab August 1952 trug die Organisation den Beinamen "Ernst Thälmann".
3 Die Außenministerkonferenz der drei Westmächte im September 1950 in New York erklärte die Bundesregierung zur einzigen freien und gesetzlich konstituierten deutschen Regierung, die das deutsche Volk in internationalen Angelegenheiten vertreten könne. Auf einer Konferenz am 20./21. Oktober 1950 in Prag lehnten die UdSSR und die Volksdemokratien, einschließlich die DDR, die New Yorker Beschlüsse ab und forderten eine Rückkehr zum Potsdamer Abkommen, den Abschluß eines Friedensvertrages für ganz Deutschland und die Bildung eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates aus Vertretern beider deutscher Staaten.
4 Gemeint ist der am 26. Mai 1952 unterzeichneten Deutschland- bzw. Generalvertrag, der die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten regelte.
5 Pfarrer Thal war Mitglied der Bekennenden Kirche. Sein Mitgliederausweis trägt das Datum 4. Februar 1935.
6 Nach dem Tod von Stalin am 5. März 1953 entwickelte die neue sowjetische Führung unter Malenkow, Molotow und Berija Pläne, die auf die Wiedervereinigung und Neutralisierung Deutschlands hinausliefen. Die sowjetische Führung verlangte von der SED eine konziliantere Haltung in der deutschen Frage und eine Revision des forcierten Kurses beim "Aufbau des Sozialismus". Am 9. Juni 1953 beschloß das Politbüro der SED den "Neuen Kurs", der dem Verlangen der sowjetischen Führung entsprach und räumte ein, eine Reihe von Fehlern begangen zu haben
7 Vereiniging Volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetriebe.
8 VE = volkseigener.
9 Die HO, Handelsorganisation, war eine 1948 gegründete staatliche Organisation des Einzelhandels.
10 DHZ = Deutsche Handelszentrale.
11 FDGB = Freier Deutscher Gewerkschaftsbund.