Erst das Scheitern des autoritären Systems des Kaiserreiches im Krieg machte Demokratie in Deutschland möglich. Der Übergang zum Parlamentarismus ging auf ein Beschluß der Obersten Heeresleitung, sprich von General Erich von Ludendorff zurück. Die von der Bevölkerung unerwartete Niederlage nach vier Jahren des Kampfes an der Front und Not in der Heimat hatte dem alten Systems die Glaubwürdigkeit genommen. Der deutsche Kaiser und preußischer König mußte abdanken und kaum einer vermisste ihn. Deutschland war durch dem Krieg zu einem anderen Land geworden. Der Krieg hatte das deutsche Volk zusammengeschweißt und in Mittelpunkt der nationalen Gedanken gerückt. Die Deutschen schienen offen zu sein für etwas neues.
Am 7. November verbot der Oberbefehlshaber in den Marken, Generaloberst Alexander von Linsingen, die Bildung von „Arbeiter- und Soldatenräte nach russischem Muster“. Die Regierung hoffte vergebens die Welle der Revolution zu brechen ehe die Provinz Brandenburg überschwemmte. Am 8. November meuterte eine Maschinengewehr-Abteilung in Trebbin, in Staaken legten 1800 Arbeiter der Zeppelin-Werke und in Hennigsdorf streikten 10.000 Arbeiter der AEG-Werken. Am Abend des 8. Bildete sich der erste Arbeiter- und Soldatenrat in Perleberg. Er setzte den Landrat ab und übernahm die „militärische und behördliche Verwaltung“ der Kreise West- und Ostpriegnitz1.
Am 9. Und 10. November wurden Arbeiter- und Soldatenräte in der gesamten Provinz Brandenburg gebildet. In einer öffentlichen Versammlung wählte „die Arbeiterschaft Belzigs“( ZBK, 12. November 1918, S. 1.) am 10. ein Arbeiterrat, das sofort an die Arbeit ging. Am folgenden Tag wies Landrat Bernhard von Tschirschky und Boegendorff die Gendarmen, die uniformierte Landpolizei des Kreises an, „in dringenden Fällen auch den Anweisungen des Arbeiterrates Folge zu leisten.“ (12. November 1918, S. 1) Am 12. Wurde das Kreishaus unter die Verwaltung des Arbeiterrates gestellt und den Landrat seines Amtes vorläufig enthoben.
Rektor Paul Quade, ein politisch konservativer Mann, erinnerte sich, „Auch in Belzig, wo ein angesehener Bürger die Revolution mit dem Ausrufe pries: ‚Ich grüße die Majestät des Volkes!‘ entstand eine Arbeiterrat, dessen Mitglieder z. T. gar nicht aus Belzig oder der Mark stammten; einer war sogar ein Elsässer. Auf den öffentlichen Gebäuden mußte die rote Fahne gehißt werden. Vom Schulhause wurde sie aber von einer Lehrerin bald wieder eingeholt2.“
Am 13. November leitete der Vorsitzende des Arbeiterrates, Oskar Preuß, eine Versammlung des Rates im Gasthof zur grünen Tanne bei der eine Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrates Berlin, Herr Marzahn, anwesend war. Der angekündigte Reichstagsabgeordnete Ferdinand Ewald war verhindert. Preuß teilte den Anwesenden mit, daß das Amt des Landrates in die Hände von Wilhelm Koch übergeben wurde. Koch war weder Arbeiter noch Sozialdemokrat, sondern „bürgerlich“ und Stadtverordnetenvorsitzender in Belzig. Er verwaltete das Amt allerdings nur wenige Tage, ehe er von Herrn von Hake ersetzt wurde. Die Beamten seien auf ihren Posten geblieben, teilte Preuß mit, und die Gendarmen und Polizeibeamten hätten sich dem Arbeiterrat unterstellt. Sinn der Versammlung war aber „Ergänzungswahlen“ zum Arbeiterrat, bei denen bürgerliche Mitglieder aufgenommen werden sollten. Nach der Wahl waren mindestens sechs der dreizehn Mitglieder aus bürgerlichen Kreisen. Gewählt wurden Wilhelm Koch, Oberwachtmeister Schlameus, Kaufmann Georg Klose, Kreissekretät Dornbusch, Kaufmann Hugo Sachs und Landwirt Karl Gutjahr. Oskar Preuß schloß die Versammlung mit einem Hoch auf die Republik.
Zwei Tage später, am 15. November, forderte der Arbeiterrat Belzigs die Bildung von Arbeiter- bzw. Bauernräte in den Gemeinden des Kreises. Die Wahlen hatten in öffentlichen Versammlungen stattzufinden. Je nach Größe der Gemeinde sollten bis zu sieben Mitglieder gewählt werden. Kleinere Orte sollten mit Nachbargemeinden gemeinsame Räte bilden, Gutsbezirke mit den gleichnamigen Gemeinden.
Über diesen Vorgang gibt es leider nur einen einzigen Bericht. In Ragösen wurde am 17. November in einer von vielen Männern und Frauen besuchten Versammlung im Lokal Bölke ein „Bürgerrat“ gebildet. Die Bezeichnung „Bürgerrat“ wurde gewählt, „weil er die Sache besser trifft; denn nicht alle Ortseinwohner sind Bauern, wohl aber Bürger des deutschen Vaterlandes.“ (ZBK, 23. November, 1918) Gewählt wurden fünf Mitglieder: Dampfsägewerkbesitzer Karl Spiesecke „als Industrieller“, Hüfner Ferdinand Schulze und Kossät Ernst Raeck „als größere Besitzer“ und Frau Paul und Stellmachermeister Friedrich Wieland als Vertreter der Büdner. Vorsitzender wurde Karl Spiesecke. Es ist sicher nicht zu viel gesagt wenn man vermutet, die alte Dorfelite das Sagen behielt. So wird die Revolution in vielen kleinen Gemeinden des Kreises ausgesehen haben.
In Ragösen wird auch ein Soldatenrat, bestehend aus fünf Mitgliedern, erwähnt, die die Aufgabe hatte, den Ort vor Plündereien durch heimkehrenden Soldaten zu schützen. Die Namen der Mitglieder, wie sie gewählt bzw. ausgesucht wurden, wurde nicht erwähnt.
Gedacht wurde der Bürgerrat von Ragösen als „Unterstützung des Lebensmittelamtes in Belzig“. Aufgabe des Rates war es, „die in der Gemeinde vorhandenen Lebensmittel nicht durch Hamster und Schleichhandel der Allgemeinheit entzogen, sondern voll und ganz für die Volksernährung erfaßt werden. Er soll aber auch die Interessen der Ortseinwohner wahrnehmen, die Vieh- und Getreideablieferung regeln und die Kontrolle über gemeinnützige Einrichtungen und Betriebe ausüben und die bisherigen Revisoren, die dem Kreise schwere Geld gekostet haben, überflüssig machen.“
Vornehmste Aufgabe der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte, bzw. Bürgerräte im Kreis Zauch-Belzig war in der Tat die Sicherung der Ernährung in chaotischer Zeit und nach mehreren Jahren der Mängel. Eine weitere dringende Aufgabe war die heimkehrenden Soldaten der sich auflösenden Armee mit Kleidung und Arbeit zu versorgen und die Bevölkerung vor Übergriffen der Soldaten zu schützen. Für die revolutionäre Umgestaltung der ländlichen Gesellschaft war weder Zeit noch Kapazitäten noch wahrscheinlich der Wille dazu vorhanden.
Die alte Ordnung war zusammengebrochen, eine neue war noch in den Geburtswehen. Ein Kommentar zum Buß- und Bettag druckte wohl die Stimmung der Zeit aus, „Wir haben unsere Schuldigkeit getan, haben schwere Opfer gebracht, die umsonst waren, so vergeblich, daß es auch im Reiche ganz anders geworden ist...Das neue Deutschland ist dem alten zu schnell gefolgt, als daß ein jeder sich klar besinnen könnte. Aber es wird bald allen klar sein, daß es nun das ganze Volk ist, welches die harte Gegenwart in eine bessere Zukunft wandeln kann. Das bewahre Gott!“ (ZBK, 19. November 1918, S.1)
Die alte und die neue Zeit existierten nebeneinander. Das Zauch-Belziger Kreisblatt veröffentlichte noch bis in Dezember hinein Todesanzeigen von Soldaten. Am 26. November gab der abgesetzte Landrat von Tschirsky den Todes seines Sohnes Hans mit den Worten bekannt: „In seinem 21. Lebensjahre verschied am 19. November sanft im Reserve-Lazarett zu M.-Gladbach an seiner dritten schweren Verwundung, die er im begeisterten Kampfe für seinen König und sein geliebtes Vaterland erlitten.“ Am 7. Dezember konnte man noch lesen: „Am 11. November 1918 starb den Heldentod für sein Vaterland auf dem westlichen Kriegsschauplatz der Gefreite Otto Karczick“ aus Trebitz. Schon hieß es nicht mehr wie bisher üblich „für König“.
In der selben Ausgabe wurde auch die erste Mitgliederversammlung der Sozialdemokratische Partei in Fritz Thieles Restaurant „Zur grünen Tanne“ bekannt gegeben, das Lokal wo sich die Sozialdemokraten schon vor dem Krieg versammelt hatten. Und es wurde die Gründung einer Ortgruppe der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bekanntgegeben, unterschrieben von 42 Belziger. Die DDP, die von Mitgliedern der früheren Fortschrittlichen Volkspartei und der linken Flügel der Nationalliberalen Partei am 20. November gegründet wurde3, wollte für die, „Anerkennung der republikanischen Staatsform eintreten, für Gesetzmäßigkeit und Ordnung unter Wahrung des Besitzes, aber unter Einführung einer vernünftigen sozialen, wirtschaftlichen Politik.“ Die Partei forderte die, „Gleichberechtigung aller Stände“, die Vergesellschaftung „geeigneter industrielle Betriebe“, die Aufteilung der Staatsdomänen aufzuteilen und die Einschränkung des Großgrundbesitzes, „um das Bauerntum zu stärken und zu mehren. Notwendig sind stärkste Erfassung des Kriegsgewinnes, einmalige progressive Vermögensabgabe, andere tiefgreifende Steuerreform, gesetzliche Garantierung der Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenrechte, Sicherung der Ansprüche der Kriegsteilnehmer, ihrer Witwen und Waisen, Stützung der selbständigen Mittelschicht, Freiheit für den Aufstieg der Tüchtigen.“
Um diese Ziele zu verwirklichen, verlangte die DDP die „schleunige Einberufung“ der Nationalversammlung.
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Schon am 19. Dezember hatte der Arbeiterrat Belzig und das Landratsamt, „Die Magistrate, Herren Gemeinde- und Gutsvorsteher des Kreises [beauftragt] s o f o r t mit der Ausstellung der Wählerlisten für die bevorstehenden Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung gemäß §9 Absatz 1 des Reichswahlgesetzes vom 30. November 1918“ (ZBK, 19. Dezember, 1918. S.4).
Am 24. Dezember berichtete das Zauch-Belziger Kreisblatt auf Seite 2, daß der Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte mit „400 gegen etwa 70 Stimmen“ beschlossen hatte, die Wahlen zur Nationalversammlung zuzulassen. Im Namen des Rates der Volksbeauftragten legte Friedrich Ebert (SPD) und Hugo Haase (USPD) den Termin des 19. Januars für die Wahl fest.
Der Wahlkampf hatte aber schon begonnen. Schon am 15. Dezember hatte die DDP eine erste öffentliche Versammlung in Paul Kirstens Hotel Burg Eisenhardt. Kirsten war Gründungsmitglied der Belziger Ortsgruppe der DDP. In einer Reihe von Anzeigen versuchte die DDP ihre Position zu definieren:
-„Die Deutsche Demokratische Partei ist die nationale Partei für Arbeit, Freiheit, Ruhe und Ordnung.“
-„ Die Deutsche Demokratische Partei ist gleichbedeutend mit der früheren freisinnigen, fortschrittlichen Volkspartei und ist nicht zu verwechseln mit der Sozialdemokratischen Partei.“ (ZBK, 21. Dezember 1918, S. 3)
Am 27. Dezember war das Hotel Burg Eisenhardt auch Ort der ersten öffentlichen Versammlung der neu gegründeten Ortsgruppe der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Die antidemokratische Partei wurde am 24. November von ehemaligen Mitgliedern der Freikonservativen Partei, der Deutschkonservativen Partei, derDeutschen Vaterlandspartei, des Alldeutschen Bund und der Deutschvölkischen gegründet. Sie vertrat die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Eliten des Kaiserreiches, war erbitterter Gegner der Republik und verlangte die Wiederherstellung der Monarchie. Zu den Persönlichkeiten der DNVP im Kreis Zauch-Belzig gehörten Gutsbesitzer und Ratmann Richard Koreuber, Rittergutsbesitzer Lignitz, Rektor Paul Quade aus Belzig, der abgesetzte Landrat von Tschirsky und die Gemeindevorsteher Lindemann von Hagelberg, Wernicke von Fredersdorf, Henkel von Mörz und Hübner von Nescholz.
Erst einmal gab es aber eine andere Wahl, eine weitere zum Arbeiterrat. Der Arbeiterrat veröffentlicht am 3. Januar eine Liste von 20 Kandidaten, 15 von der SPD und fünf von der DDP. Um sicherzustellen, daß es keine politische Unterwanderung gab, mußten die, „Kandidaten, deren Gesinnung nicht ganz einwandfrei feststeht, ... vor der Wahl ein politisches Bekenntnis ablegen und sind auf die Grundlage der sozialistischen Republik zu verpflichten.“ (ZBK, 4. Januar 1919, S. 4)
Die Wahl fand am 4. Januar im Gasthof „Zur grünen Tanne“ statt. Alle männliche und weibliche Belziger, die das 20. Lebensjahr erreicht hatten, waren wahlberechtigt. Die 15 Kandidaten mit den meisten Stimmen wurden gewählt. Ein Bericht über den Ausgang der Wahl fehlt allerdings.
Das Wahlrecht für Frauen war ein Novum und das Zauch-Belziger Kreisblatt veröffentlichte Ratschläge und Information für die neuen Wählerinnen unter der Rubrik, „Was die deutsche Wählerin wissen muß“. Jenen Frauen, die von Politik keine Ahnung hatten, wurde empfohlen, ihre Eltern, Verwandte, Freunde Ehemann oder Bräutigam um Rat zu fragen. Unterschätzt wurden die Frauen aber nicht.
"Keinem Zweifel unterliegt auch, daß oft ein weibliches Wesen von 20 Jahren gescheiter ist, als mancher junge Mann von gleichem Alter. Auch wenn die Männer das übel nehmen, es ist doch oft zutreffend. Ein zwanzigjähriger Ehemann ist noch eine fragwürdige Persönlichkeit, eine junge Frau von zwanzig Lenzen kann schon recht selbstständig sein." (ZBK, 30. November, 1918, S. 2)
Am 7. Dezember wurde das neue Wahlsystem den Frauen erklärt.
"Verhältniswahl! Das ist auch so ein politisches Wort, das ein unpolitisches und respektloses Kichern aus weiblichem Munde entfesseln kann.“
Es kam eine weitere neue Partei hinzu, die Deutsche Volkspartei (DVP), die Partei Gustav Stresemanns. Gegründet wurde sie im Dezember 1918 und lehnte zunächst die Republik ab4. Ihr Wahlkampf bestand vorwiegend aus einer Anzeigenkampagne, die zwar fast allen etwas versprach, aber dennoch ihre Position recht deutlich darstellte.
„Die Deutsche Volkspartei tritt insbesondere ein für demokratische Ausgestaltung eines freien deutschen Volkslebens, Sicherung des Privateigentums, Förderung des wirtschaftlichen Aufstiegs der Arbeiter, gemeinschaftliche Betriebsmittel auf dem Lande (Maschinen, Düngemittel, Darlehenskassen), Schutz des religiösen Lebens durch den Staat und Beibehaltung des Religionsunterrichts in der Schule.“ (ZBK, 11. Januar 1919, S. 3)
Und noch deutlicher:
„Die Deutsche Volkspartei ist die schärfste Gegnerin nicht nur der Sozialdemokratie sondern auch jeder internationalen, kapitalistischen Demokratenpartei. Die Deutsche Volkspartei ist die schärfste Bekämpferin der Vergellschaftung aller Produktionsmittel.“ (ZBK, 14. Januar 1919, S. 4)
Am 13. Januar im Hotel Burg Eisenhardt hielt die DVP ihre einzige Wahlkampfveranstaltung ab5.
Am intensivsten betrieben die SPD und die DDP Wahlkampf. Zwischen dem 11. und dem 18. Januar brachte es die DDP auf 23 Veranstaltungen. Manche Redner sprach an einem Tag auf mehrere Veranstaltungen. Herr Parteisekretär Frenzke sprach, z.B. am 11. Januar in Dahnsdorf, am 12. in Rottstock und Brück, am 13. in Reppinichen und Reetz, am 14. in Medewitz und Lotschke und am 15. in Groß-Marzehns und Rädigke.
Zwischen dem 4. und dem 16. Januar berichtete das Zauch-Belziger Kreisblatt von 16 sozialdemokratischen Veranstaltungen. In den Anzeigen der SPD hieß es, die Partei kämpfe, „für Frieden, Freiheit, Ordnung und Brot. Darum stützt die Regierung, wählt sozialdemokratisch.“ (ZBK, 14. Januar 1919, S. 4) Sie waren stets bemüht sich von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD), die sich 1917 von der SPD (der „Mehrheitssozialdemokraten“) wegen Frage der Unterstützung für den Krieg abgespalten hatten, abzugrenzen. In ihrer Anzeigen hieß es stets „Richtung Ebert-Scheidemann.“
In der Belziger Gegend trat die USPD allerdings kaum in Erscheinung, hielt lediglich eine Veranstaltung zwei Tage vor der Wahl in Belzig ab, im Lokal von Fritz Thiele.
Die DNVP versuchte aus der Angst und der Unsicherheit der Menschen Kapital zu schlagen. In einer Anzeige vom 11. Januar, hieß es, „Alle deutschen Männer und Frauen, die mithelfen wollen an der Wiedergeburt unseres Vaterlandes, die unser Volk erretten wollen vor der gänzlichen Vernichtung durch äußere und innere Feinde müssen werben und kämpfen für die Deutschnationale Volkspartei.“ (ZBK, 14. Januar 1919, S. 4)
In einer Anzeige der DNVP trieb der Tod einen von zwei Pferden gezogenen Wagen über eine steile Klippe. Darunter wurde gefragt, „Wer rettet uns vor dem Untergang?“ (ZBK, 16. Januar 1919, S. 3)
Und es herrschte in der Tat Angst. Das Zauch-Belziger Kreisblatt berichtete am 14. Januar von den Kämpfen in Berlin, von dem sogenannten Spartakistenaufstand. Am 13. war ein Aufruf des Belziger Arbeiterrates, unterschrieben vom 1. Vorsitzenden, dem Handlungsgehilfe Karl Ilgner, an alle Arbeiter- und Bauernräte des Kreises Zauch-Belzig gegangen:
„Nicht genug mit dem grausigen Blutvergießen des beendeten Weltkrieges, so muß auch der Bürgerkrieg im Lande ausgetragen werden. Die nächsten Stunden werden uns sagen, wer die Macht behält, die provisorische Regierung Ebert-Scheidemann, hinter der das Vertrauen des deutschen Volkes steht, oder eine kleine Minderheit, die mit wildem Terror die Macht an sich zu reißen sucht, die die Nationalversammlung mit allen Mitteln hintertreiben will.
„Wir brauchen schnellsten die Nationalversammlung! Sie soll uns das feste Staatsgefüge geben. Die neue Grundlage, auf der die Errungenschaften der Revolution zur Demokratie, zum Sozialismus ausgebaut werden müssen.
„Das deutsche Volk will nicht die Rückkehr der zerschlagenen Reaktion! Aber auch nie und nimmer den blinden Terror von links, der die letzten Träger und Stützen unseres Volks- und Wirtschaftslebens vernichten und somit unser Deutsches Volk in das schreckliche Elend stürzen würde, dessen schlimmste Folgen gar nicht zu übersehen wären.
„Darum, Ihr Arbeiter- und Bauernräte unseres Kreises, laßt Euch nicht durch den leider unvermeidlichen Bürgerkampf in Berlin beeinflussen. Laßt Eure schwerer Arbeit zum Wohle unserer Kreisbevölkerung nicht erlahmen! Seid Euch Eurer heiligen Pflicht nach wie vor bewußt!“ (ZBK, 14. Januar 1919, S. 3)
Die Wahl zur Nationalversammlung durfte nicht, hieß es weiter, „durch fremde Elemente...erschwert, vielleicht auch gar unmöglich gemacht werden.“
„Schafft Euch für jeden Wahlbezirk Sicherheiten, indem den Wahlleitern aus den linksstehenden Parteien, die die Nationalversammlung anerkennen, ein festes Komitee beigeordnet wird.“
Gleichzeitig wurde einen Aufruf unter dem Titel, „Auf! Gegen den Bolschewismus“, im Kreisblatt veröffentlicht, in dem für das Freikorps Roeder geworben wurde. Die Freiwilligen, die möglichst Uniform und militärische Ausrüstung mitbringen sollten, mußten eine von der provisorischen Regierung festgelegten Verpflichtungsformel schwören.
„Ich verpflichte mich, der deutschen sozialistischen demokratischen Republik mit allen Kräften und nach bestem Wissen als Soldat zu dienen.
Die jetzige provisorische Regierung werde ich unbedingt schützen und die unterstützen in der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Innern und an den Grenze des Reiches.
„Ich trete ein für die ungestörte Nationalwahl, den Schutz der Nationalversammlung und der von dieser beschlossenen Gesetze.“ (ZBK, 16. Januar 1919, S. 3)
Am 19. Januar 1919 fand die Wahl zur Nationalversammlung statt. Gerade neun Wochen waren vergangen seitdem Philipp Scheidemann die Republik ausgerufen hatte, seit der Abdankung des Kaisers und preußischen Königs und dem Waffenstillstand, der den Weltkrieg nach mehr als vier Jahren beendete, ein Krieg, der so viel Leid über den damaligen Kreis Zauch-Belzig gebracht hatte. Noch heute kann man in fast jedem Ort die Kriegerdenkmäler mit den langen Listen der Namen der Gefallenen und Vermißten6 der Gemeinde sehen.
Nur zwölf Tage vor der Wahl hatte die neue Regierung das Militär gegen Streikenden eingesetzt. Erst am 15. Januar war der sogenannte Spartakus-Aufstand niedergeschlagen worden. Am Vortag hatte der Friedenskonferenz in Versailles begonnen.
Der Wahltag verlief in Belzig ruhig. Anhänger der Sozialdemokraten und der DDP nutzten die frühen Morgenstunden, um Wahlzettel an Wänden und anderen freien Flächen in der ganzen Stadt zu kleben. Auf dem Zettel der SPD sprach eine kleiner Junge die Mahnung, „Mutter, denk an mich. Nie wieder Krieg, darum wähle sozialdemokratisch.“ Dann beschäftigten sich die Zettelkleber damit, die Zettel der politischen Gegner abzureißen. Bald hingen überall nur noch Reste.
Die DDP hatten den Vorteil, daß sie von vielen Geschäftsleuten unterstützt wurden. Die Plakaten hinter den Schaufenster bleiben erhalten. Kinder verteilten Wahlwerbung auf den Straßen. Vor den Wahllokalen druckten Männer und Frauen Stimmzettel und Empfehlungen den Wählern in die Hand.
Die Wahlbeteiligung war sehr hoch. Dennoch gegen 17Uhr begannen die Schleppdienste der Parteien die letzten, die noch nicht gewählt hatten, sogar Kranke aus der Heilstätte, mit Kutschen und Autos zu den Wahllokalen zu transportieren.
In Anwesenheit einer große Zahl von Beobachtern dauerte die Auszählung der Stimmzettel bis halb zehn.
Die letzte Reichstagswahl vor dem Krieg hatte im Januar 1912 stattgefunden. Unter den drei Kandidaten hatte in dem ersten Wahlgang keiner eine absolute Mehrheit erreicht, so daß es ein zweiter Wahlgang zwischen den zwei Kandidaten mit den besten Ergebnissen stattfinden mußte: Herr Oberregierungsrat a. D. U. von Oertzen und der Kandidat der Sozialdemokraten, der Berliner Stadtverordneten und ehemaligen Gastwirt Ferdinand Ewald aus Berlin.
Das Zauch-Belziger Kreisblatt hatte damals klar Stellung bezogen. "Bei der Lösung [der anstehenden Aufgaben] pflegt die Sozialdemokratie ihre Mitarbeit zu versagen. Darum ist die endliche Überwindung dieser Partei, deren Bestehen eine Gefahr bedeutet für die nationale Geschlossenheit unseres Volkes wie für die Erhaltung des politischen, geistigen und sittlichen Erbes unser Väter, eine Lebensfrage für unser Vaterland.
„Wer sich das alles vor Augen hält, wird sich klar darüber sein, daß kein pflichtbewußter deutscher Mann am 12. Januar an der Wahlurne fehlen darf. Er kann auch nicht im Zweifel darüber sein, gegen wen er Front zu nehmen hat." (ZBK, 6. Januar 1912, S. 2)
Das Blatt zog die Schlußfolgerung: „Also nur ein politisch Verblendeter kann einen Sozialdemokraten wählen.“ (ZBK, 6. Januar 1912, S. 2)
Im ersten Wahlgang hatte Ewald im Kreis die meisten Stimmen gehabt, 2300 mehr als von Oertzen. Im Stichwahl am 21. Januar 1912 gewann aber von Oertzen, allerdings mit einem Vorsprung von lediglich 296 Stimmen vor Ewald.
Der Sozialdemokrat gewann in allen der größern Ortschaften im Kreis außer Niemegk. In Belzig erhielt er 53,2% der Stimmen, in Lehnin 64,5%, in Treuenbrietzen 69%, in Werder 68,9%, in Caputh 72,1%, und in Glindow sogar 73,4%. In 21 kleineren Landgemeinden konnte der Sozialdemokrat ebenfalls Mehrheiten gewinnen.
In der Provinz Brandenburg erreichte die SPD 49,1% der Stimmen. Im gesamten Reich war die SPD nur auf 34,8% der Stimmen gekommen. Der Kreis Zauch-Belzig war also vor dem Krieg überdurchschnittlich sozialdemokratisch geprägt.
Die Wahl zu der Nationalversammlung sollte einen neuen politischen Anfang sein. Stärkste Partei in der Republik, die sich weiterhin „Reich“ nannte, mit 37,9%, wurde die SPD, die Partei, die seit dem 9. November die Regierungsverantwortung getragen hatte, gefolgt von der Deutschen Zentrumspartei und der erst im November gegründeten Deutschen Demokratischen Partei (DDP) mit 18,6%. Die drei Parteien sollten die „Weimarer Koalition“ bilden, die die neue Republik stützte. Zusammen hatten sie mehr als zwei Drittel der Stimmen erhalten. Es waren die politischen Kräfte, die 1917 die Friedensresolution verabschiedet hatten und die Parteien, die ohne Wenn und Aber die Einberufung der Nationalversammlung befürwortet hatten. Hinzu kamen die Unabhängige Sozialdemokraten (USPD) mit 7,6%, die im Dezember gegründete Deutsche Volkspartei (DVP), die „Partei der Großindustrie“, die der Republik skeptisch gegenüber stand, mit 4,4%, und die aus der Masse der alten Konservativen ebenfalls neu gegründete monarchistische Deutschnationale Volkspartei, die die Republik ablehnte, mit 10,3%. Die erst am 1. Januar gegründete Kommunistische Partei lehnte eine Teilnahme an den Wahlen ab.
Die Ergebnisse der Wahl im Kreis Zauch-Belzig sind leider unvollständig, jedoch in den Orten von denen Ergebnisse vorliegen errang die SPD eine absolute Mehrheit von 52,7% und auch die DDP erhielt zehn Prozent mehr als im Reichsdurchschnitt. Obwohl die katholische Zentrumspartei im Kreis, wo weniger als 6% der Bewohner katholisch waren, kaum eine Rolle spielte und lediglich auf 0,4% der Stimmen kam, fielen über 80% der Stimmen im Kreise Zauch-Belzig auf die Parteien der „Weimarer Koalition“ gegeben. Die DVP schnitt mit 7,7% besser als im Reich ab, die DNVP, mit 8,4%, schlechter und die USPD, mit 2,7%, deutlich schlechter.
In allen sechs Städten des Kreises gewann die SPD mehr als 40% der Stimmen. Die großen Mehrheiten bekamen die Sozialdemokraten aber auf dem Lande. In den Landgemeinden von denen die Ergebnisse erhalten sind, kam die SPD auf 57,7%. In 18 von ihnen erhielt die SPD die absolute Mehrheit oder wesentlich mehr. In Deetz, Göhlsdorf, Grüneiche, Nehmitz, Reetz, und Seddin erhielt die SPD über 70%. In Wust stimmten 82,4% der Wähler für die SPD, in Michelsdorf gar 89,9%. Die DDP erhielt 62,8% in Dippmannsdorf, 74% in Lübnitz und 78,4% in Ragösen. Die konservative, monarchistische DNVP erreichte bedeutende Stimmzahlen in Lübnitz, 27,2%, Benken, 28,1% und Mörz, 32,9%. In all diesen Orten gewann die DDP die meisten Stimmen und die SPD schnitt schlecht ab, in Lübnitz, 17%, in Benken, 8,5%, und in Mörz, 5,2%.
Die Wahlergebnisse, obwohl unvollständig, deuten auf eine Bereitschaft nachzuweisen, sich auf das Experiment der Republik einzulassen. Man könnte sie aber auch so interpretieren: die SPD, die, wie gesehen, schon vor dem Krieg im Kreis Zauch-Belzig eine starke Basis hatte, erschien wohl die Partei, die eine gewisse Stabilität in jener instabilen Zeit garantierte.
Der Wahlkampf ging gleich weiter. Am 26. sollte die preußische Nationalversammlung gewählt werden. Am 24. hielt die DDP eine Versammlung im Hotel Burg Eisenhardt und am Tag vor der Wahl in Kranepuhl. Ebenfalls am 25. war die DVP im Belziger Schützenhaus, während die Sozialdemokraten Veranstaltungen in Linthe, Baitz, Lübnitz und Rottstock hielten, alle Orte, wo sie in der Wahl zur Nationalversammlung ausgesprochen schlecht abgeschnitten hatten.
Um acht Uhr am Abend vor der Wahl trafen sich die Helfer der SPD im Lokale von Fritz Thiele, um das Wahlkampfmaterial in Empfang zu nehmen, die sie am Wahltag verteilen sollten.
Währenddessen veröffentlichte die Deutschnationale Volkspartei einen Aufruf „An das deutsche Volk“
„Der 19. Januar hat über die Zukunft Deutschlands entschieden. Der 26. Januar wird der Schicksalstag Preußens sein. Noch ist eine Möglichkeit gegeben, durch die Wahl zur preußischen Nationalversammlung das Schlimmste von unserem Volk abzuwenden. Es gilt, mit allen Mitteln die Gefahr einer rein sozialdemokratischen Mehrheit zu verhindern.“
Und weiter,
„Von ganz besonderer Bedeutung aber wird der 26. Januar für die Frage sein, ob in Zukunft unserem Volkstum seine stärkste Kraftquelle erhalten bleibt: das Christentum. Nur wenn die christliche Religion, die bisher auf das innigste mit unserer gesamten Kultur und unserem Staatsorganismus verwachsen war, weiter der Träger unserer Staatseinrichtungen und unseres Volkstums bleibt und nicht zu einer gleichgültigen Privatsache wird, ist die Gewähr für eine glückliche Zukunft unseres Volkes gegeben.“
Die Deutschnationalen warnten vor „dem endgültigen Untergang“ Deutschlands.
Die Wahl zur preußischen Nationalversammlung zeigte, daß etwas mehr Skepsis doch vorhanden war. Besonders in den Landgemeinden gab es eine klare Verschiebung. Die SPD blieb zwar stärkste Partei im Kreis, verlor aber fast 13%. Die DNVP gewann deutlich hinzu und kam in den Landgemeinden auf 19,1%, im Kreis insgesamt auf 16%, fast eine Verdoppelung ihres Ergebnisses von einer Woche zuvor. In der gesamten Provinz Brandenburg erhielt die SPD 41,8%, die DDP 20,6% und das Zentrum 2,8%. Also die Parteien der „Weimarer Koalition“ hatten fast zwei Drittel der Wähler hinter sich. Die DNVP kam auf 16,1%.
1IWK (Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung), Heft 2/1999, S. 208-224.
2 Paul Quade, Bilder aus Belzigs und Sandbergs Vergangenheit und Gegenwart. Erstmals veröffentlicht 1903, ergänzt 1921. Buch 1 zum Jubiläum 997 – 1997. Wittenberg, 1994. S. 124.
3 Zu den Gründern der DDP gehörten Theodor Wolff, Hugo Preuß, Max Weber und Albert Einstein.
4Mit Hinweis auf seine annexionistische Einstellung während des Krieges hatte die DDP die Aufnahme Gustav Stresemanns abgelehnt. Daraufhin gründete der rechte Flügel der alten Nationalliberalen Partei und ehemalige Mitglieder der Fortschrittlichen Volkspartei die Deutsche Volkspartei.
5 Die politischen Veränderungen bewegten viele Deutsche, sich politisch zu betätigen. Wie überall im Reich beworben die Parteien in Belzig und Umgebung aktiv um Mitglieder. 1919 hatte die DNVP im Reich 350.000 Mitglieder, die DDP 800.000. 1920 verzeichnete die DVP ebenfalls 800.000 Mitglieder. 1923 erreichte die DNVP eine Mitgliederzahl von 950.000.
6 Während und nach dem Ersten Weltkrieg war die Bezeichnung „vermißt“ kaum mehr als ein beschönigter Ausdruck für den Tot der Soldaten dessen sterbliche Überreste in den Schlamm des Schlachtfeldes zertreten wurden und daher nicht zu bergen waren.