Die Tradition des Folksongs ist oft romantisiert worden, als wäre sie ein heimlicher, ja, ein unheimlicher Vorgang. Wenn man Lieder als „traditional“ bezeichnet, dann ruft das bestimmte Vorstellungen hervor. Das seien doch uralte Lieder, die von Generation zu Generation weitergegeben worden waren, ehe sie von einem Folkloristen „gesammelt“ und gedruckt wurden. Manche meinen, nur solche Lieder seien Folksongs. Demnach, könnte es heute keine neuen Folksongs geben und die alten Lieder gehörten ins Museum. Aber lebende Traditionen verändern sich in Anbetracht veränderter Lebensbedingungen.
Genau genommen sind Lieder, die man als „traditional“ bezeichnet, solche von denen man die Urheber nicht mehr kennt. Aber irgendwann, irgendwo hat einer oder eine die Melodie und den Text ausgedacht. Das kann heißen, die ursprüngliche Melodie und den ursprünglichen Text. Solche Lieder, die keinem „gehörten“, konnten beliebig verändert werden. Vielleicht dichtete einer eine neue Strophe dazu, oder eine Sängerin änderte eine Zeile, damit sie sich besser singen lässt. Hier und da wurde bei der mündlichen Überlieferung etwas falsch verstanden und der Fehler setzte sich fort. Vielleicht wurden eine oder mehrere Strophen vergessen und mußten ersetzt werden. Womöglich wurde ein völlig neuer Text ausgedacht, weil der alte nicht mehr zeitgemäß war. Und wie oft sind kleine Veränderungen in der Musik vorgenommen worden? Die besten Lieder überlebten, weniger gute Lieder wurden verbessert, die anderen gerieten in Vergessenheit. Wolf Biermann hat diesen Prozess die „Gütekontrolle der Zeit“ genannt. Dieser Prozess der Veränderung, der Verfeinerung, der Anpassung, Neues aus Altem machen, nennt man auch den „folk process“, und er war immer fundamental für die Lebendigkeit der Tradition.
Die ersten amerikanischen Lieder entstanden dadurch, daß britische Lieder verändert wurden, den Lebensbedingungen der Neuen Welt angepasst. Englische, schottische, und später irische Weisen schlugen Wurzel in Amerika und dienten als Fundus für eine neue Musikkultur. Schwarze und Weiße liehen Elemente der jeweils anderen Kultur aus, um etwas Neues, etwas wahrhaftig Amerikanisches zu schaffen.
Spätere Liedermacher setzten diese Tradition fort. Joe Hill nahm die Melodien alter Hymnen oder populären Lieder seiner Zeit und schuf mit eigenen Texten neue Lieder. Manche Liedersammler – siehe John und Alan Lomax oder Jean Ritchie – haben verschiedene Versionen eines alten Liedes „redigiert“ und dadurch eine Musterversion veröffentlicht, die sich oft dann als die endgültige Version durchsetzte. Blues Musiker haben stets mit Versatzstücken aus dem ganzen Schatz der Blueslieder gearbeitet, um „ihre eigene“ Lieder zu schaffen.
Seit es Tonaufnahmen gibt, sind sie Teil der Folk-Tradition. Woody Guthrie, zum Beispiel, lernte Lieder von seiner Mutter und anderen Menschen in seiner Kindheit und Jugend, aber er lernte auch von Schallplatten. Wenn er bei Menschen wohnte, verbrachte er Stunden damit, sich ihre Plattensammlungen anzuhören. Später hatte er selber eine große Sammlung. Woody lernte also nicht nur aus der mündlichen Tradition, sondern von Aufnahmen der Carter Family, von Jimmie Rodgers, von den Monroe Brothers. Woody nahm Melodien, wo er sie nur finden konnte, oft unbewusst, einige mehrmals. Auch Bob Dylan ging kreativ mit fremden Melodien und Dichtung um. Alle schufen neue Lieder. Alle standen mit beiden Beinen in der langen Tradition der Folkmusik.
Erst seit Urheberrechte gesetzlich geschützt werden können, spricht man von Plagiat. Die neuen Bedingungen haben die Tradition verändert. Wenn man heute das „geistige Eigentum“ eines anderen nutzen will, muss man vorsichtig sein. Der „Eigentümer“ oder sein Verleger könnte es einem übel nehmen. Das hat sowohl sein Positives als auch sein negatives. Das Positive ist, daß der Urheber anerkannt und bezahlt wird. Das Negative ist, daß Lieder heutzutage nicht ohne weiteres verbessert werden können. Das Produkt des Liedermachers ist gewissermaßen eingefroren, es sei denn er will es selber ändern. Das hat Folgen für den „folk process“, für die Tradition des Folksongs. Es bedeutet aber nicht das Ende der Tradition. Vor einigen Jahren kam der Begriff „roots music“ auf, um Musik zu beschreiben, die ihre Wurzel in der traditionellen Musik der Vergangenheit hat. Es ist ein guter Begriff, der der Tatsache Rechenschaft trägt, daß Musik sich ändert. Aus den Wurzeln sprießen immer neue Pflanzen. Pflanzen ohne Wurzel verdorren.
In den Vereinigten Staaten, in den späten 50er und frühen 60er Jahren, fand ein „ folk music revival “ statt, das natürlich schon viel früher seinen Anfang hatte. „Revival“, also Wiederbelebung, klingt als wäre die Musik schon tot gewesen. Aber die Tradition in den USA war nie gestorben. Vor dem „folk revival“ hatte die Popmusikindustrie die traditionelle Musik aus dem Bewusstsein der Massen verdrängt. Aber die Menschen haben diese Musik weiterhin gespielt. Heute ist Folkmusik lebendiger denn je. Die Tradition ist gerade so lebendig, weil sie sich verändert hat, weil die „Puristen“ nie die Oberhand gewonnen haben.
In Amerika gab es nie eine klare Grenze zwischen Folksongs und kommerziellen Liedern. Stets haben die beiden Bereiche sich gegenseitig bereichert. Die Lieder von Stephen Foster [siehe: Stephen Foster: America‘s Troubadour, John Tasker Howard. New York: Thomas Y. Crowell Co., C. 1934 ] und andere aus minstrel shows gelten heute ohne wenn und aber als Folksongs. Das gleiche gilt für viele der fast zehntausend Lieder, die während des amerikanischen Bürgerkrieges, oft von professionellen Liedtextern und Komponisten geschrieben und veröffentlicht wurden. Und dann, mit der Erfindung von Tonaufnahmen, wurde auch die Folkmusik kommerziell und die Kategorien verschwammen immer mehr. Die Carter Family baute ihre Karriere auf traditionelle Lieder. Man erkannte das kommerzielle Potential von Hillbilly-Musik und Blues. Aus Hillbilly-Musik wurde Country-Musik. Aus der Kombination von Hillbilly und Blues wurde Rock and Roll. Aus Blues wurden Soul und später Rap. Aus Rock and Roll wurde Rock. Wann hört Musik auf, „traditionell“ zu sein, „folk music“ zu sein, „roots music“ zu sein?
Diese Lieder sind wahrhaftige Lieder, ohne jeglichen Kitsch. Es sind konkrete Lieder zu konkreten Themen, Themen, die in anderen Genres weitgehend ignoriert werden: die Auseinandersetzung mit der Natur, Umweltkatastrophen und ihre Folgen, die Monotonie von Fabrikarbeit, Klärwerken, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Streiks, Rassismus, den Umgang mit geistig Behinderten. Ohne jeden Kitsch befassen sie sich mit den Problemen der Liebe. Diese Lieder berichten über Menschen, die wirklich leben bzw. lebten, nicht die großen Helden der Geschichte, sondern von einer allein erziehenden Mutter, von einer irischen Einwanderern, die ein Hotel in Butte, Montana, betrieb, von einsamen alten Menschen, von einem Tellerwäscher, von kleinen Gaunern und Schurken.
Diese Lieder zeichnen ein Bild von Amerika, wie die meisten Menschen das Land nicht kennen. Manche nennen es das „andere Amerika“, aber es ist das eine Amerika, das viel komplexer ist, als manche vermuten, als andere wahrhaben wollen. Wie die Balladen, die in früheren Jahrhunderten Nachrichten verbreiteten, haben auch diese Lieder noch eine zweite Funktion außer Unterhaltung, nämlich die Lücken in unserem Wissen, in unserem Bewusstsein zu schließen. Die Geschichte der USA, die wir in der Schule lernen, ist wie ein Skelett ohne Fleisch und Blut. Lieder wie diese liefern das Fehlende nach. Sie sind nicht plakativ. Ohne zu predigen, haben sie uns etwas mitzuteilen.
Liedersammler
Folkloristen und Liedersammler bereiteten den Boden für die folk music revival , in dem sie vieles gerettet haben, was sonst in einer sich verändernden Welt verloren gegangen wäre. Die erste große Liedersammlung in den USA war das fünfbändigen Werk English and Scottish Popular Ballads (1882-1898) von Francis J. Child. Der Harvard Professor für Rhetorik, der auch in Deutschland studiert hatte, sammelte und klassifizierte, meist aus gedruckten Quellen, 305 Balladen englischer und schottischer Herkunft, ließ allerdings die „unzüchtigen“ Balladen aus.
Einer der ersten Menschen, vielleicht der erste, der amerikanische Folksongs „in the field“ sammelte, war N. Howard „Jack“ Thorp, der die Lieder der Cowboys suchte und seine Sammlung Songs of the Cowboys 1908 veröffentlichte. Thorp, der selber als Cowboy arbeitete, sah sich als Teil der Tradition und nahm einige Eigenkompositionen in seine Sammlung auf, von denen ein, „Little Joe the Wrangler“, heute als klassisches Cowboylied gilt.
1910 erschien die Liedersammlung Cowboy Songs and other Frontier Ballads von John A. Lomax. 1875 in Mississippi geboren und in Texas aufgewachsen, hatte Lomax in Austin, Texas studiert und 1907 an der Harvard Universität seinen Magister in amerikanischer Literatur gemacht. Dort lernte er den Shakespeare Gelehrten und Folkloristen George Lyman Kittridge kennen. 1904 hatte Kittridge, zusammen mit Helen Child Sargent, eine neue Ausgabe von Childs Balladensammlung herausgebracht. Kittridge ermunterte Lomax, sein Hobby, das Sammeln von Cowboy-Liedern, weiter zu betreiben. Lomax kaufte ein Ediphone, ein frühes Aufnahmegerät, und machte so genannte Feldaufnahmen von Cowboy-Liedern. Das Buch, in dem einige Lieder von Thorp enthalten waren, wurde gelobt und mit der Child Sammlung verglichen. 1918 erschien seine zweite Sammlung von Cowboy-Liedern, Songs of the Cattle Trail and Cow Camp , ehe Lomax eine Stelle bei einer Bank antrat.
Auch andere Liedersammlungen erschienen. 1915 besuchte Cecil J. Sharp die USA, um seine Sammlung English Folk Songs from the Southern Appalachians vorzubereiten. 1925 veröffentlichte Dorothy Scarborough On the Trail of Negro Folk Songs . Von besonderer Bedeutung war die 1927 erschienene Sammlung American Songbag von Carl Sandburg.
Wegen einer längeren Krankheit verlor John A. Lomax 1932 seine Arbeit bei der Bank. Im selben Jahr starb seine Frau. Er hatte unfreiwillig Zeit, sich mit Liedern zu befassen. Mit seinem Sohn Alan, unternahm er wieder eine Reise, um Lieder zu sammeln für ein neues Buch. In seinem Auto baute er ein mehr als 150 Kilogramm schweres Aufnahmegerät ein und in vier Wochen reisten die beiden mehr als 25.000 Kilometer durch den Süden des Landes. Während dieser Reise suchten die beiden Lieder unter anderem in Gefängnissen. Dort hoffte John Lomax Spuren der alten Tradition zu finden, die zu dem Blues führte. Sein bedeutendster Fund war der Sänger und Gitarrist Huddie Ledbetter, genannt Lead Belly. 1934, mit Hilfe von Charles Seeger [siehe: Understanding Charles Seeger, Pioneer in American Musicology (Music in American Life) , by Bell Yung, Helen Rees. University of Illinois Press, 1999. ] - Vater von Pete und Mike Seeger - erschien das Ergebnis der Reise, American Ballads and Folk Songs .
John A. Lomax wurde Berater des 1928 gegründeten Archive of American Folk Song und ab 1937 dessen Leiter. Während der 30er Jahre sammelte John Lomax, zusammen mit seinem Sohn Alan, mehr als 3000 Aufnahmen für das Archiv. Sie gaben die Sammlungen Our Singing Country (1939) und, nochmals mit der Unterstützung von Charles Seeger und seiner Frau Ruth Crawford Seeger, Folk Song U.S.A. (1947) heraus. 1948 starb John Lomax nahe seinem Geburtsort in Mississippi. Er war wieder auf der Suche nach Liedern gewesen.
So bedeutend der Beitrag von John A. Lomax auf dem Gebiet des Folksongs war, Alan Lomax sollte es übertreffen. Alan wurde 1915 in Austin, Texas geboren. Nach seinem Studium war er bis 1942 Assistent Archivar für seinen Vater im Archive of American Folk Song. Er leitete auch Radiosendungen zu Folkmusik in New York und während des Krieges arbeitete er im Office of War Information und mit den Special Services der U.S. Armee. Nach dem Krieg machte er weitere Feldaufnahmen, u.a. in Haiti und auf den Bahamas. 1947 bis 1949 war er Direktor für Folkmusik für Decca Records.
Unter dem Eindruck der einsetzenden McCarthy Ära verließ Alan Lomax die USA. In den 50er Jahren lebte und arbeitete er in Großbritannien. Er gab eine 10-LP Sammlung über Folkmusik in Großbritannien heraus. Anfang der 60er Jahre kehrte er in die USA zurück und gab eine 6-LP Sammlung der Musik des Südens heraus. Auch eine 18-LP Sammlung World Library of Folk and Primitive Music erschien. 1959 schrieb er einen Artikel für die Zeitschrift Esquire, „Bluegrass Background: Folk Music with Overdrive“, der die Musik zum ersten Mal einem größeren Publikum vorstellte. Alan Lomax machte uns Lieder wie „Streets of Laredo“ und „House of the Rising Sun“ bekannt, und machte die ersten Aufnahmen von Sängern wie Fred McDowell, Son House, und Muddy Waters. Ab 1963 arbeitete Alan Lomax an einer Klassifizierung der Lieder der Welt, cantometrics, und der Tänze der Welt, choreometrics. Rounder Records ist jetzt dabei die „Alan Lomax Collection“ zu veröffentlichen. Sie wird 40 CDs seiner Feldaufnahmen amerikanischer und internationaler Folkmusik umfassen.
Die KPUSA und der Folksong
Ende der 30er Jahren entdeckte die Kommunistische Partei der USA den Folksong als Propagandawerkzeug. Nach der Oktoberrevolution hatten die frisch gebackenen amerikanischen Kommunisten die Praktiken der Sowjets übernommen, unter anderem die Propagandalieder. Sie idealisierten die sowjetische Kultur, aber die gesellschaftlichen Realitäten der USA unterschieden sich von den der Sowjetunion vollkommen. Ehe die Kommunisten der USA auf die Folkmusik der südlichen Berge kamen, bestand ihre Musik aus einer Mischung von Liedern der radikalen Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW), sowjetischen Choralen, und Kompositionen von Hanns Eisler und anderen europäischen Komponisten.
Ende der 30er Jahre, in der Ära der Volksfront, wurde von Moskau aus eine Amerikanisierung der KP verordnet. Was die Musik betraf, sollte sie „national in der Form, revolutionär im Inhalt“ sein. In dieser Zeit wendete man sich den amerikanischen Musikformen endgültig zu. Die Kommunisten bemühten sich ihr Image und ihre Organisation zu amerikanisieren. Es hieße, der Kommunismus sei der „Amerikanismus des 20. Jahrhunderts“ oder der „Jeffersonismus des 20. Jahrhunderts“. Kommunistische Liederhefte und Versammlungen wurden nun mit der Nationalhymne statt der „Internationale“ eröffnet.
Daß es lange dauerte, bis die amerikanischen Kommunisten die amerikanische Kultur für sich entdeckten, ist nicht verwunderlich. Bis Ende der 30er Jahre war die KPUSA eine Partei vorwiegend von Einwanderern. Lediglich ein Siebentel der 20.000 amerikanischen Kommunisten konnte überhaupt Englisch. Es gab nicht einmal eine englischsprachige kommunistische Zeitung.
Die Linken in den USA lernten das Folk-Protest-Lied im Südosten des Landes. Die Wirtschaftskrise hatte viele Menschen der Region radikalisiert, und es kam in jenen Jahren zu gewalttätigen Arbeitskämpfen. Die Streiks von Gastonia-Loray in North Carolina und Harlan County in Kentucky waren der Anfang der Beziehung zwischen der KPUSA und der Folkmusik. [ Serge Denisoff, Great Day Coming: Folk Music and the American Left . Urbana : University of Illinois Press, 1971. S. 17. ] Während des Gastonia-Loray Streiks schrieb eine Frau namens Ella May Wiggins zu alten Melodien Balladen zum Streik. Wiggins wurde ermordet, aber die Kommunisten brachten ihre Lieder nach dem Norden, wo sie, nach dem Abklingen des Interesses an dem Streik, vergessen wurden. Für die KPUSA galten sie aber als Model für das Nutzen von Musik bei Streiks.
Auch in den Arbeitskämpfen in Harlan County, Kentucky [Siehe: Bloody Harlan. United Mineworkers of America in Harlan County, Kentucky, 1931-1941, by Paul F. Taylor. University Press of America, 1990.] engagierte sich die KPUSA. In den zugereisten Kommunisten sahen die Bergarbeiter einfach Mitstreiter. Um Ideologie ging es ihnen weniger als um die menschliche Hilfe. Die Kämpfe im „Blutigen Harlan“ brachten viele Lieder und Liedermacher hervor. Aus Folksongs wurden Protestlieder. Die Struktur der Lieder war traditionell, aber der Inhalt wurde häufig von dem Kontakt zu den städtischen Radikalen geprägt. Das beste Beispiel ist wahrscheinlich Sarah Ogan Cunnings Lied „I Hate the Capitalist System“ . Der Marxismus-Leninismus-Stalinismus traf auf die Kultur der Appalachen.
Die Wendung von der alten Propagandamusik zur Folkmusik der Appalachen hieße aber die Wendung von einer Musikform, die den städtischen Arbeitern fremd war, zu einer anderen Form, die ihnen ebenso fremd war. Die Arbeiter bevorzugten Streiklieder zu den Melodien von ihnen bekannten Popliedern. Das heißt, viele der Gewerkschaftslieder der 30er und 40er Jahre wurden nicht von Arbeitern geschrieben, sondern von Intellektuellen für Arbeiter.
1939 bis 1942, unter der Obhut der Kommunistischen Partei, gab es eine kleine Folkrenaissance in linken Kreisen, wobei die Definition von Folk recht vage blieb. Sie verwendeten den Begriff „People's Music“. Unter den Kommunisten und anderen Linken in New York schuf das neue „Folksbewusstsein“ ein Publikum für manche echte Folksänger wie Aunt Molly Jackson, Lead Belly, Josh White, oder Woody Guthrie. Für manche Folksänger der 30er und 40er Jahre bildete das kommunistische Milieu das einzige Publikum. Aber auch Sänger wie Burl Ives , die in der Folk-Tradition nicht aufgewachsen waren, profitierten von der neuen Situation. Folksänger traten bei Benefizkonzerten für Spanienflüchtlinge, Wanderarbeiter, oder radikale Gewerkschaften auf, und die Daily Worker berichtete darüber. Es war allerdings ein Folkrenaissance in einer Subkultur von New York City.
Der herausragende Ausdruck dieser Folkrenaissance waren die Almanac Singers, eine lose Gruppe um Pete Seeger [ David Dunaway, How Can I Keep from Singing: Pete Seeger. New York : Da Capo Press, 1981. S. 117 ], der sich viele Sänger, u.a. Woody Guthrie anschlossen. Die Gruppe verkörperte die neue „proletarische Kultur“. Die Almanacs schrieben und sangen zunächst Lieder für die Gewerkschaften, entsprechend der politischen Linie der KPUSA. In der kommunistischen Presse wurde die Gruppe idealisiert. Man stellte sie als Vermittler von Arbeiterkultur dar, dabei waren die Mitwirkenden vorwiegend Intellektuelle. Das von ihnen erreichtes Publikum ging über linke Kreisen kaum hinaus. Manche Gewerkschaftler lehnten sie sogar ab, ihre Musik und auch ihr proletarisches Gehabe. Die Almanac Singers hatten stets finanzielle Probleme, denn in der größeren Gesellschaft waren sie isoliert. Zur gleichen Zeit konnten Folksänger wie Burl Ives, die ideologisch nicht festgelegt waren, einigermaßen verdienen und errangen eine gewisse Popularität.
Unter dem Einfluss des Hitler-Stalin-Paktes und der veränderten politischen Linie der Kommunistischen Partei begannen die Almanac Singers Lieder zu singen, die gegen einen Eintritt der USA in den Krieg gerichtet waren, darunter Lieder die Franklin Roosevelt und seine Politik ablehnten. Ihr erstes Album, Songs of John Doe, erschien nur wenige Wochen vor dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion. Das Album, das vorwiegend in kommunistischen Buchhandlungen verkauft worden war, wurde zurückgezogen. Nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion, wieder im Einklang mit der politischen Position der Kommunistischen Partei, sangen die Almanacs patriotische Lieder und Lieder, die den amerikanischen Eintritt in den Krieg befürworteten. Von der New Yorker Presse wurden die Mitglieder der Gruppe als „Rote“ gebrandmarkt, die nur gegenüber Moskau loyal waren. Der Krieg sowie politische Meinungsverschiedenheiten spalteten die Gruppe.
Am 31. Dezember 1945 wurde, auf Betreiben von Pete Seeger die Organisation People's Songs, Incorporated (PSI) und ihre Zeitschrift People's Song Bulletin gegründet. Seegers erklärtes Ziel war es, „eine singende Gewerkschaftsbewegung“ zu schaffen. Der Anfang sah viel versprechend aus. Nach zwei Monaten hatte PSI schon tausend zahlende Mitglieder in 20 Bundesstaaten, obwohl die überwiegende Mehrheit in New York City lebte. Die Mitgliederzahl erreichte später 2000. Zu den Sponsoren gehörten Aaron Copland, Leonard Bernstein, John Hammond, und Oscar Hammerstein II.
Die Zeiten schienen für PSI günstig. Nach dem Ende des Burgfriedens der Kriegsjahre kam es 1946 zu massiven Arbeitskämpfen. Doch die Gewerkschaften waren nicht mehr so militant wie in den Vorkriegsjahren. Das System wollten sie nicht ändern, sondern höhere Löhne und mehr Urlaubstage für ihre Mitglieder erreichen. Zunächst arbeitete People's Songs mit dem Gewerkschaftsverband CIO (Congress of Industrial Organization) und einigen lokalen Organisationen des Gewerkschaftsverbandes AFL (American Federation of Labor), aber das Interesse seitens der Gewerkschaften nahm rapide ab. Und der Druck gegen die „Roten“ in den Gewerkschaften wuchs. Noch 1946 verabschiedete sich der CIO eine anti-kommunistische Resolution. Seeger versuchte die Kommunistische Partei in seine Pläne einzubinden, aber die Partei, beschäftigt mit internen Machtkämpfen, zeigte kein Interesse. Tatsache war, daß People's Songs von Anfang an große Probleme hatte. Finanziell stand sie immer auf wackligen Beinen.
Höhe- und Endpunkt von PSI war der von den amerikanischen Kommunisten unterstützten Präsidentschaftswahlkampf von Henry Wallace, ehemaliger Landwirtschaftsminister und Vizepräsident unter Roosevelt, für die Progressive Party. Durch die Vermittlung von Alan Lomax engagierte sich PSI im Wahlkampf für Wallace. Die Unterstützung von Pete Seeger und PSI für Wallace schuf noch mehr Distanz zu den Gewerkschaften, die sich geweigert hatten, Wallace zu unterstützen. Nach der Wahl, die für Wallace denkbar ungünstig verlief, war PSI am Ende. Am 11. März 1949 endete die Geschichte von People's Songs im bankrott. People's Song Bulletin hatte immerhin 319 Lieder veröffentlicht.
Im Sommer 1949 wurde People's Artists gegründet, eine Buchungsagentur für Folksinger, gewissermaßen als Nachfolger von People's Songs. Pete Seeger blieb auf Distanz zu der neuen Organisation. Geleitet wurde sie von Irwin Silber und Betty Sanders. Im Mai 1950 beschloss People's Artists eine neue Zeitschrift zu starten, Sing Out!, der Titel des Liedes von Pete Seeger und Lee Hayes „If I Had a Hammer“ entnommen. In der ersten Ausgabe schrieb Sidney Finkelstein, „Wo, außer der Sowjetunion, wären Komponisten inspiriert, das Großartige an dem Volk zu studieren.“
In den ersten Jahren der Zeitschrift hatten in der Auswahl der veröffentlichten Lieder politische Kriterien Vorrang gegenüber ästhetische Kriterien. People's Artists wurde zunehmend zu einem kulturellen Flügel der kommunistischen Bewegung. In der Ära von McCarthy wurde People's Artists immer isolierter. Die Ereignisse von 1956, Chruschtschows Rede über Stalin und der Aufstand in Ungarn, zerstörten praktisch die KPUSA und bedeuteten das Ende von People's Artists. Sing Out! aber überlebte und nach vielen Verwandlungen erscheint sie noch heute.
Andere Folkszenen
Beide Organisationen, People's Songs und People's Artists, vertraten eine Idealisierung des Proletariats, die geistig in den 30er Jahren hängen geblieben war und Folkmusik primär als eine politische Waffe sah. Wenige außerhalb der linken Szene der USA sahen in Folkmusik eine Waffe. Folkloristen lehnten People's Songs ab. Manche waren der Meinung, die Organisation hätte der Folkmusik mehr geschadet als genutzt. Das heißt, viele, die sich für Folkmusik interessierten, lehnten People's Songs und People's Artists ab. Die beiden Organisationen hatten, wie die KPUSA, stets am Rande der Gesellschaft agiert. Ihre Bedeutungslosigkeit war wahrscheinlich ein Glück für die Musik, denn die Idee, daß Folkmusik eine „Waffe“ der Revolution sein sollte, schwand nach und nach aus dem öffentlichen Bewusstsein.
Es hat aber stets eine andere „Folkszene“ gegeben, die mit den Kommunisten in keiner Verbindung stand. Viele Menschen in ländlichen Gegenden spielten noch die alte Musik. Schließlich war das, was als Folkmusik bekannt wurde, eine Sammlung verschiedener ländlichen Musiktraditionen. Auch in den Kirchen wurden die alten Lieder noch gesungen. Schon in den 20er und 30er Jahren hatte es Folkfestivals und Fiedlerwettbewerbe gegeben, und die viele lokalen Folklorevereine sammelten die lokalen Traditionen. Ab 1925 sendete der Nashville Sender WSU die Grand Ole Opry, dessen Programm vorwiegend aus traditionellen Musik bestand. Bis die Weltwirtschaftskrise die Plattenindustrie traf, wurden viele alte Musiker und Sänger aufgenommen, als die Plattenfirmen versuchten, regionale Märkte zu erobern.
„Seriöse“ Musiker entdeckte die Folksmusik und nahmen Lieder daraus in ihr Repertoire auf. John Jacob Niles veröffentlichte mehrere Sammlungen alter und neuer Folksongs, und Richard Dyer-Bennet, der Folksongs zu der Begleitung von einer Laute sang, führte Folkmusik in Kreise ein, die sonst solche „primitive“ Musik abgelehnt hätten.
Folksongs wurden aber gleichzeitig durch andere Medien einem größeren Publikum bekannt gemacht. Die Works Progress Administration (WPA) eine Organisation, die entstand, um die Folgen der Wirtschaftskrise abzufedern, unternahm, unter dem Einfluss von John und Alan Lomax einiges auf dem Gebiet der Folklore, sammelte regionale Folksongs und machte Aufnahmen einiger Sänger. In den 30er Jahren leitete Burl Ives eine Folkmusik Rundfunksendung bei CBS, „The Wayfaring Stranger“. Die Sendung, an der auch John and Alan Lomax mitarbeiteten, machte Folksongs erstmals vielen Menschen zugänglich. Eine ähnliche Funktion hatte die CBS Serie, „Columbia's School of the Air“. 1939 erhielt Alan Lomax in dieser Serie Sendezeit für ein Programm, das den Kindern der USA ihre musikalisches Erbe näher bringen sollte, „Wellsprings of America“. In den 40er Jahren produzierte Alan Lomax zwei Rundfunksendungen, die Folkmusik sendeten und manchen Folksängern gelegentlich Arbeit gab, „Folk Music of America“ und „Back Where I Come From“. 1945 begann Oscar Brands Sendung „ Folksong Festival “ bei WNYC, dem stadteigenen Sender von New York City, die bis heute (September 2004) noch zu hören ist.
Der Zweite Weltkrieg trug auch dazu bei, die Folkmusik zu verbreiten. Männer ländlicher und städtischer Herkunft kamen zusammen und die Städter hörten oft zum ersten Mal die traditionelle Musik des Landes.
Moe Asch und Pete Seeger
Zwei Personen waren in den 50er Jahren für Folkmusik von entscheidender Bedeutung: Moses Asch und Pete Seeger.
Moses Asch wurde 1905 in Warschau geboren. 1914 brachte ihn sein Vater, der jiddische Schriftsteller Shalom Asch, nach New York, um den Krieg in Europa zu entkommen. Aufgezogen wurde er von einer Tante, die eine der ersten Schülerinnen von Maria Montessori gewesen war. Seine Tante hatte V.I. Lenin in Bildungsfragen beraten. Unmittelbarer Nachbar der Familie in Brooklyn war eine Zeitlang Leo Trotzki.
Um Elektronik zu studieren, ging Asch nach Europa. Er war von dem Gedanken der grenzenlosen Kommunikation fasziniert. In Europa hörte er von seinen Kommilitonen dann Lieder aus aller Welt, kannte aber keine amerikanische. Während er in Paris lebte, entdeckte er Cowboy Songs and Other Frontier Ballads von John Lomax. Asch entwickelte eine zweite Leidenschaft: die Folklore Amerikas.
Zurück in den USA, erzählte Moses Asch einem Freund der Familie, Albert Einstein, seine Pläne, eine Plattenfirma zu gründen, um die Kreativität und Musik der ganzen Welt präsentieren zu können. Nach zwei Fehlschlägen gründete Asch 1948 die Folkways Record Company. In den folgenden Jahren veröffentlichte Asch Musik und das gesprochene Wort aus aller Welt, mehr als 1600 verschiedene Schallplatten. Es war ein idealistisches Unternehmen. Die Entscheidung, eine Platte zu veröffentlichen, hing nie von dem voraussichtlichen finanziellen Erfolg ab. Und alles, was mal veröffentlicht wurde, blieb dann auch im Katalog, stets lieferbar, egal wie wenige Exemplare verkauft wurden. Die Aufnahmen wurden immer von einer ausführlichen Dokumentation begleitet. Asch nutzte das neu entwickelte Medium der Langspielplatte voll aus.
Die für die Fortsetzung der Folksong Tradition bedeutendste Veröffentlichung von Folkways Records war die 1952 erschienene 6-LP Folkways Anthology of American Folk Music. Zusammengestellt von Harry Smith, diese Anthologie von kommerziellen Aufnahmen der 20er und 30er Jahre war die wichtigste Quelle für das Repertoire vieler Folksänger der 60er Jahre und danach. Um diese Musik einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, setzte sich Moses Asch über die Lizenzgesetze hinweg 7 .
Asch starb 1986. Der gesamte Katalog von Folkways Records wurde vom Smithsonian Institut übernommen und ist heute noch komplett lieferbar.
Eine der bedeutendsten Voraussetzungen für das „folk revival“ der späten 50er und frühern 60er Jahre war der Erfolg der Weavers. Sie bewiesen, daß Folkmusik ein breites Publikum erreichen konnte. Im November 1948 schlug Lee Hayes Pete Seeger vor, wieder eine Gruppe wie die Almanacs zu gründen, bloß besser organisiert. Durch People's Songs lernten die beiden Fred Hellerman und Ronnie Gilbert kennen. Der Name der Gruppe stammt von einem Stück von Gerhart Hauptmann, das Hellerman gerade las. Nachdem sie ein halbes Jahr im Village Vanguard gespielt hatten, sorgte Gordon Jenkins für einen Vertrag mit Decca Records.
Was Stil und Inhalt betrifft, waren sie von den Almanac Singers meilenweit entfernt, obwohl Pete Seeger das Herz beider Gruppen war. Lee Hayes erklärte, „Was Gordon Jenkins als Orchesterleiter tat, war unsere Lieder zu nehmen und sie in große Orchester und Chöre zu verpacken, und sie wurden sofort riesige Hits.“ Ihre Aufnahme von Lead Bellys „Goodnight Irene“ verkaufte sich mehr als zwei Millionen Mal. Leider war Lead Belly kurz zuvor in Armut verstorben. Zwischen 1950 und 1952 verkauften die Weavers mehr als vier Millionen 78rpm Schallplatten. Gleichzeitig wurde Harry Belafonte mit seinen Folksongs populär und Tennessee Ernie Ford hatte einen Hit mit dem Bergarbeiterlied „Sixteen Tons“.
1952 lösten sich die Weavers auf, nachdem sie auf die schwarze Liste des Ausschusses für antiamerikanische Aktivitäten des Repräsentantenhauses gekommen waren. Zu Weihnachten 1955 aber organisierte ihr Manager Harold Leventhal ein Konzert in der Carnegie Hall, um die Macht der schwarzen Liste zu brechen, und die Gruppe fing wieder an aufzutreten. Der Livemitschnitt des Konzerts, The Weavers at Carnegie Hall, wurde zum Bestseller. 1957 verließ Pete Seeger die Gruppe und wurde von Erik Darling ersetzt, der später von Frank Hamilton ersetzt wurde und der wiederum von Bernie Krause. Nach einem Abschiedskonzert 1964 in Chicago löste sich die Gruppe endgültig auf.
Auch nachdem die Weavers von den großen Bühnen verschwunden waren, spielten sie eine wichtige Rolle. Besonders an den Universitäten waren sie persönlich und durch ihre Platten präsent und erweckten Interesse an der Folkmusik und fanden Nachahmer durch viele Folkgruppen, die nach ihrem Vorbild gegründet wurden. In den 50er Jahren ersetze Folkmusik Jazz als die Musik, die man hörte als Alternative, als Protest gegen die dominierende Kultur. Obwohl die offen politische Folkmusik im Angesicht der repressiven politischen Atmosphäre der Zeit aus der Öffentlichkeit verdrängt worden war, hatte Folkmusik trotzdem etwas Aufmüpfiges an sich, die vielen jungen Leuten entgegen kam. An immer mehr Hochschulen fanden Folkfestivals statt. In ihrer Nähe wurden coffee houses gegründet, die als Kleinbühnen für Folkkünstler dienten.
Das Verbindungsglied zwischen den 30er und 40er Jahren und des folk music revival der 60er Jahre war Pete Seeger. Nachdem er es abgelehnt hatte, vor dem Kongressausschuss zu Untersuchung „unamerikanische Aktivitäten“ „Namen zu nennen“, d.h. Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung zu denunzieren, kam er auf die schwarze Liste. Seine Auftrittsmöglichkeiten waren dadurch stark eingeschränkt. Seeger spielte und sang dennoch weiter. Er reiste durch das Land, sang an Hochschulen, in Jugendlagern, und sogar bei lokalen Rundfunksendern. Und er machte Schallplatten für Moses Asch. Bis 1955 waren es 29 an der Zahl, die sich insgesamt bis 1962 eine Million Mal verkauft hatten.
Dann kam Elvis. Seine Musik war rauer und ursprünglicher als die seichte Popmusik der 50er Jahre und der Musik der Weavers und hatte tiefe Wurzel in der Musik des amerikanischen Südens und brachten die Folkmusik vielen Menschen näher. Der eine oder der andere Rock and Roller nahm auch einen Folksong auf und hatte damit Erfolg. Mit Lead Bellys „Rock Island Line“, z.B. landete Lonnie Donegan einen Hit. Aber Rock and Roll nach Elvis war weniger interessant. Die Belanglosigkeit des größten Teils der Lieder der Zeit erzeugte einen Hunger nach etwas mehr.
folk music revival
Im Oktober 1958 hatte das Kingston Trio einen großen Hit mit dem alten Lied „Tom Dooley“ und der folk boom nahm seinen Anfang. Andere Folkgruppen wurden gegründet, the Limeliters, the Brothers Four, the Chad Mitchell Trio, the Tarriers, und viele andere. Die Musik sowie die Musiker waren brav, aber sie schoben die Karre der folk music revival an.
Eine andere Bewegung jener Zeit, die einen starken Einfluss auf die kommerzielle folk music revival ausübte, war die Bürgerrechtsbewegung. Sie bewirkte einen Bewusstseinswandel bei vielen Menschen, sie politisierte sie. In kaum einer anderen politischen Bewegung haben Lieder eine solch bedeutende Rolle gespielt, und die Lieder stammten direkt aus der Musiktradition der Schwarzen Amerikas, genau genommen, aus der Tradition der schwarzen Kirchen. Bei Versammlungen und Demonstrationen wurden Spirituals gesungen, oft mit neuen Texten. Sie sorgten für Solidarität, für Beruhigung in angespannten Situation, machten Mut.
Viele weiße Liedermacher, darunter Bob Dylan, Phil Ochs, und Pete Seeger, schrieben in jenen Jahren Lieder zu dem Thema. Diese Lieder wurden geschrieben, um von einzelnen Sängern für Zuhörer gesungen zu werden. Die Lieder der schwarzen Tradition wurden in Gemeinschaft gesungen. Da war kein Publikum. Sie waren nicht kommerziell. Doch obwohl die Lieder der weißen Liedermacher in der Bewegung keine bedeutende Rolle spielten, sorgten sie dafür, daß ein Bewusstsein für das gemeinsame Schicksal von Weiß und Schwarz in Amerika wuchs. Die Bürgerrechtsbewegung war der cause célebré der Folkära.
Höhepunkt des folk revivals war das Jahr 1963. Zu dem Newport Folk Festival kamen 37.000 Besucher. Alle große Massenblätter des Landes brachten Titelgeschichten zur Folkmusik. Der Fernsehsender ABC hob die Sendung „Hootenanny“ aus der Taufe. (Von den besten des Genres wurde sie aber bald boykottiert, weil es Pete Seeger nicht erlaubt wurde, dort aufzutreten.) Am 28. August 1963 fand der große Marsch der Bürgerrechtsbewegung auf Washington statt. Fast eine Million Menschen hörten Bob Dylan, Joan Baez, Odetta, und Peter, Paul & Mary singen. Folkmusik, die Nischenkultur der 30er, 40er, und 50er Jahre, war plötzlich Massenkultur.
Dann kamen die Beatles, und die Phase des großen kommerziellen Erfolges der Folkmusik war vorbei.
Das folk music revival der 60er Jahre veränderte viel in dem Bereich der Folkmusik. Trotz der Fülle der inzwischen vergessenen topical songs , war das revival weitgehend unpolitisch, ganz und gar nicht parteipolitisch. Folksongs waren nicht mehr Waffen im Klassenkampf. Die Guthrie-Seeger Tradition setzte sich zwar fort, aber unter veränderten Vorzeichen.
Das Verständnis von Folkmusik wurde erweitert. Folk war nicht mehr nur die Tradition britischen Balladen der Appalachen, und des politischen Liedes, sondern schloss alle traditionelle Musikrichtungen ein: Blues, Old-Timey Country, Bluegrass, Shanties, Cowboy-Lieder, Cajun, Zydeco, Tex-Mex, und vieles mehr. Man „entdeckte“ viele ältere Musiker wieder, wie John Hurt, Roscoe Holcomb, oder Dock Boggs, die dann eine zweite (oft erste) Karriere genossen. Das folk music revival förderte das Bewusstsein der Vielfalt der amerikanischen Musikkultur.
Hierbei spielten Mike Seeger und die New Lost City Ramblers eine entscheidende Rolle. [Philip F. Gura, „Roots and Branches: Forty Years of the New Lost City Ramblers“, Old Time Herald , Vol. 7, issue 2.] Schon in den 50er Jahren hatte Seeger viele alte Musiker aufgespürt, aufgenommen, und veröffentlicht. Elizabeth Cotton, the Stoneman Family, und Sam und Kirk McGee. Mike Seeger war verantwortlich für die erste Bluegrass-LP. Die New Lost City Ramblers brachten viele traditionelle Musiker zu den Bühnen der großen Städte und der Folkfestivals. Sie stellten aber nicht nur ältere Sänger und Musiker vor, sondern spielten selber einen älteren, weniger glatten Stil als die anderen neuen Folkgruppen, die nach dem Vorbild des Kingston Trios gegründet worden waren. Die New Lost City Ramblers war die erste „ revival “ Gruppe, die ein Ensemble von Gitarre, Banjo, und Geige präsentierte. Sie hatte im September 1958, also vor dem Erfolg von „Tom Dooley“, ihren ersten Auftritt als Gruppe, in Carnegie Recital Hall, und ihre erste LP für Moses Asch aufgenommen.
Das Repertoire der New Lost City Ramblers stammte weitgehend von kommerziellen Aufnahmen oder Aufnahmen der Library of Congress aus den Jahren 1925-1935. Mike Seeger fühlte sich gerade zu diesen Liedern hingezogen, viele von ihnen während der Weltwirtschaftskrise entstanden, weil sie die Lieder von „arbeitenden Menschen“ waren, die sich „viel direkter“ ausdruckten als die städtischen Folksänger. Den New Lost City Ramblers war das Politische an diesen Liedern bewusst, ohne daß sie als „politische Lieder“ im engeren Sinne gesungen wurden. Für die New Lost City Ramblers, wie für viele andere, die die glatten arrangierten Folkmusik der 50er Jahren satt hatten, gewann die Folkways Anthology of American Folk Music immer mehr an Bedeutung.
Zu der Vielfalt des folk music revival s gehörten auch die singer-songwriter in der Tradition von Woody Guthrie. Für die neuen Folksänger waren Pete Seeger und Woody Guthrie Vorbilder, und ohne die Verbindung zwischen Folkmusik und den „alten Linken“ wäre es zu der Fülle der topical songs , den Liedern mit aktuellen Themen, nicht gekommen, aber die jungen Sänger waren von der KPUSA nicht beeinflusst, keiner Ideologie verpflichtet. Sie waren Produkte der Nachkriegszeit und individualistisch geprägt.
Die herausragende Figur des folk revivals war Bob Dylan. Zuerst hieß es, er wäre „der neue Woody“ und in der Tat war Guthrie eines seiner entscheidenden Vorbilder. Aber er war nicht Woody II. Bob Dylan war nicht während der Weltwirtschaftskrise in der „ Dust Bowl “ aufgewachsen, sondern als wohl behüteter und verwöhnter Junge in den Nachkriegsjahren. Und Woody war nicht sein erstes Vorbild, sondern Little Richard. Dylan ist ein privater Mensch, der sich nicht einbinden lässt. Er setzte die Tradition fort und erweiterte deren Horizonte. Er revolutionierte das amerikanische Lied und veränderte den Folksong, das Rocklied, das Countrylied. Dylan brachte Folk und Pop zusammen und veränderte dadurch beide Bereiche. Die Lieder änderten sich, wurden lyrischer. John Cohen von den New Lost City Ramblers meinte, die Betonung bei Folksong läge nicht mehr auf „gesellschaftlicher Reform“ sondern „auf der Suche nach menschlicher Werten“. Die Lieder von Bob Dylan waren nicht oder selten zum Mitsingen geeignet, hatten oft keinen Refrain.
Von all den „ topical songwriters “, den Liedermachern, von den aktuellen politischen Liedern, ist nur Dylans Werk mit den Jahren nicht verblasst. Und das liegt an der Qualität seiner Dichtung. Die besten amerikanischen Dichter des 20. Jahrhunderts waren Liedermacher und ihre Lieder sind Literatur. Bob Dylans Lieder werden an Literaturseminaren in den Universitäten untersucht. Ohne den Einfluss von Bob Dylan hätte es wahrscheinlich die große Zahl von singer-songwriters nicht gegeben. Von singer-songwriters werden heute viele Lieder produziert und die meisten davon verdienen es sicherlich, vergessen zu werden. Aber Pete Seeger hat mal diese Einstellung Woody Guthries zum Songschreiben so erklärt: willst du einige gute Lieder haben, musst du sehr viele Lieder schreiben. Die große Zahl der singer-songwriter und ihrer Produktivität sind ein Schatz aus dem man schöpfen kann.
Folk nach dem revival
In den 70er und 80er Jahren wurde in Amerika ein Folknetz geschaffen, bestehend aus lokalen und regionalen Organisationen, die das Genre pflegten und den Musikern Auftrittsmöglichkeiten verschafften. Die beteiligten Menschen arbeiten in der Regel ehrenamtlich oder gegen verbilligten Eintritt bei Konzerten. Die meisten von ihnen spielen selber die Musik. Kleine Plattenfirmen, Agenturen, und Versandfirmen wurden gegründet, die die Musik zu einem größeren Publikum bringen. Reich können die Musiker nicht werden, aber einige schaffen es, davon zu leben. Viele andere haben normale Jobs nebenbei.
Einige wenige, wie Nanci Griffith oder Mary Chapin Carpenter, wechselten zu der Country Spalte und haben dafür gesorgt, zusammen mit Musikern aus der Bluegrass-Musik, daß auch bei Country mehr traditionelle Klänge zu hören sind. Dieses Netz nennt sich eine community , eine Gemeinde, und der Liedermacher Utah Phillips hat sie gewürdigt, als er aus gesundheitlichen Gründen, nicht mehr auf Tour fahren konnte:
„Ich verlasse einen Beruf, den ich sehr liebe. Als ich vor mehr als 45 Jahren Utah verließ, hatte ich bloß eine vage Vorstellung, was Folkmusik war, 75 Dollar in der Tasche, einen Kopf voller Lieder und Geschichten, und nichts in Aussicht. Als ich in Café Lena in Saratoga Springs, New York, landete, entdeckte ich allmählich, daß ich in eine Familie hinein gestolpert war, die in der Tat transkontinental war. Ich fand eine große Zahl Menschen, die, nach einem Muster gesellschaftlicher Verantwortung, sich verpflichtet hatten, dafür zu sorgen, daß Folkmusik in ihren Gemeinden zu hören war. Sängerkreise, Lager, Picknicks, Konzertprogramme, große und kleine Festivals feierten die gemeinsame Erbe des Liedes. Ich fand eine Gemeinde, Sänger und Liedermacher, die die Achse von San Diego Folk Heritage bis Denver Folklore Center bis the Ark in Ann Arbor bis Lenas und darüber hinaus bereisten, die sich durch das, was wir gemeinsam hatten, gerade über Wasser hielten, aber vor allem, in der Gemeinschaft. Eine Familie, die sich wie eine Familie verhielt – gut, schlecht und alle Schattierungen dazwischen. Aber zuerst eine Gemeinschaft der Gefühle, in der die Menschen sich wirklich füreinander sorgten. Hör zu! 25 Jahre bin ich ein Teil einer Familie, die mir einen Lebensunterhalt gegeben hat – nicht ein Vermögen, aber einen Lebensunterhalt – ein Beruf ohne Bosse, in dem ich mich als Partner der Menschen, die in organisierter Folkmusik arbeiten, ein Beruf, in dem ich das, was ich tue, besitzen konnte, alle kreative Entscheidungen treffe, frei sein, zu sagen und singen, was ich will, und die Kritik von Kollegen und Freunde herausfordern. Veranda, Küche, Garten, besoffen oder nüchtern, jung oder alt, Folkmusik von Küste zu Küste, eine Welt in der ich entdeckte, daß ich weder Macht noch Reichtum noch Ruhm brauche. Ich brauche Freunde. Und das ist es, was ich gefunden habe und finde. Ihr Folkies! Genossen! Zusammen haben wir eine ganze kleine Welt von Liedern, Geschichten, Reisen, Liebe, und Essen geschaffen, von Angesicht zu Angesicht, in allen Ecken des Landes, sich gegenseitig unterstützend, die auf einer subindustriellen Ebene geschieht, unter der Ebene der Aufmerksamkeit der Medien. Hurra für uns! Wer braucht die „Unterhaltungs-Industrie? Wer braucht die Massenmedien? Klein ist schön! Zum Teufel mit dem Hauptstrom. Er ist verdreckt. Was bereinigt den Hauptstrom? Die kleinen Nebenflüsse in der Wildnis, wo sauberes Wasser fließt. Besser in den Nebenflüssen verloren zu sein, von wenigen bekannt, als verzehrt in dem Hauptstrom, verzehrt von Selbstliebe und der Absurdität der Gier. Bitte, gebt unsere Welt nicht auf! Sie muss wachsen, ja – aber auf subtiler Weise, nach außen, durch, unten, leise, wie Wasser, das einen Stein aushöhlt, subversiv, lebendig, glücklich.“
1989 wurde die North American Folk Music and Dance Alliance ,, kurz Folk Alliance, gegründet, um „traditionelle, moderne, und multikulturelle Folkmusik, Tanz, und verwandte Darstellungskünste in Nordamerika zu pflegen und zu verbreiten“. 1700 Personen und Organisationen sind Mitglieder.
Das Genre Folkmusik ist in den USA fest etabliert und gedeiht. Seit Dylan ist die Flut der Lieder der singer-songwriter nicht mehr einzudämmen. Heute werden mehr Folksongs geschrieben als zur Zeit des großen folk music revival s. Die Lieder sind anspruchsvoller geworden. Die zeitliche Ferne zu den alten traditionellen Musikern verändert aber die Tradition. Viele singer-songwriter haben sich von der Quelle der Tradition weit entfernt. Utah Phillips beschreibt die Veränderungen und die Gefahr dieses Prozesses:
„Das große folk music...revival hatte es seine Wurzel bei den alten Liedern ab der Jahrhundertwende. Man hatte junge singer-songwriter – Bob Dylan, Tom Paxton, Len Chandler, Phil Ochs - auf Folkfestivals mit den traditionellen Alten – Roscoe Holcomb, Jim Garland, Almeda Riddle, Frank Proffitt und all die anderen. Die jungen Liedermacher wurden die Erben. Sie übernahmen jene Melodie- und Strophenmodelle für ihre eigene Musik. Und noch heute singen Menschen [die Lieder] von Tom Paxton und Bob Dylan, weil ihre Melodienmodelle einfach sind...sie lassen sich gut merken.
„Das kommerzielle revival ging zu Ende, dann gab es eine 15 jährige Lücke, und dann tauchte eine neue Welle singer-songwriter auf. Aber jetzt sind die Alten der traditionellen Musik tot...oder sie sind nach Hause gegangen und vergessen. Und die Musik- und Strophenmodelle stammen aus der Rock & Roll und Popmusik, und die singer-songwriter schreiben im Grunde „Signatur“-Lieder. Dar Williams singt Dar Williams Lieder, John Gorka singt John Gorka Lieder...und das war es.
„Willst du Lieder, die fortdauern? Willst du, daß sie der Welt erhalten bleiben? Dafür ist die Tradition gut. Sie gibt die Strophen- und Melodiemodelle und Ideen wie man Lieder macht, die Menschen in ihr Leben und in sich selber aufnehmen wollen, benutzen, ändern und umstellen. Unsere traditionelle Musik ist unser Erbe – sie ist wie unsere Nationalparks, etwas, das uns allen gemeinsam gehört. Sie wird sterben, sie wird verschwinden, es sei, wir halten zusammen, es sei wir sie pflegen.
„Wir verlieren ständig Lieder. Das ist wahrscheinlich auch gut so, aber wir müssen neue Lieder oben hineintun. Wenn Wasser unten raus fließt, muss man Wasser oben in das Fass hineintun. Aber niemand tut Wasser oben in das Fass hinein – und das macht mir Angst“ ( Sing Out )
Noch gibt es aber Liedermacher, die v
on der Quelle der Tradition schöpfen.
Während einer relativ kurzen Phase von dreißig bis vierzig Jahren schufen Cowboys eine einzigartige Kultur und dazu gehörten auch ihre Lieder. Das Cowboylied entstand aus der eigenartigen Leben, das diese Männer lebten. Es war eine isolierte Männergesellschaft, deren Mitglieder diverser Herkunft waren und verrichteten eine harte, gefährliche und einsame Arbeit.
Cowboys sangen zu ihrer eigenen Unterhaltung. Indem Alkohol und Geldspiel meistens verboten waren, gab es wenige Ablenkungen. Alter Lieder wurden überarbeitet und dem Leben und der Arbeit auf der Prärie angepaßt. Populäre Lieder, englische und schottische Balladen, die Lieder der Seemänner und Holzfäller wurden benutzt um die Lieder zu schaffen, die die Cowboys brauchten.
Das wahrscheinlich bekannteste aller Cowboylieder, „The Old Chisholm Trail“, war eine Adaption von Stephen Fosters Lied „Uncle Ned“. „Bury Me Not on the Lone Prairie“ stammt von dem populäre englische Lied „The Ocean Burial“ oder „Bury Me Not in the Deep, Deep Sea“, geschrieben 1830 von E. H. Chapin. „Streets of Laredo“ ist eine Variante des englischen Bänkelliedes „The Unfortunate Rake.“ Lieder wie „On the Trail to Mexico“, „Buffalo Skinner“ und „A Cowboy’s Life is a Dreary, Dreary Life“ sind Adaptionen von Liedern der Holzfäller. „Git Along, Little Dogies“ stammt von einem alten irischen Lied.
Balladen wurden unterwegs abends im Lager gesungen und auch in den Bars am Ende des Trecks. Sie konnte alle mögliche Themen haben: die Arbeit des Cowboys, die Kühe, sein Pferd, seine Liebste, schlechtes Essen, ein bekannter Cowboy oder Gauner, oder die Feier, die man am Schluß des Trecks feierte. Genau wie in anderen Berufen, sei es die Shanties der Seeleute oder die Lieder derer, die die Eisenbahn gebaut haben, reflektieren viele Lieder der Cowboys den Rhythmus ihrer Arbeit.
Die meisten der ursprünglichen Cowboylieder, das heißt, diejenigen, die von arbeitenden Cowboy geschrieben wurden, haben ein langsames Tempo, fast wie ein Wiegenlied, „so langsam wie ein Pferd nachts um schlafenden Rinder läuft, und die meisten sind traurig.“ Das Singen gehörte zu ihrem Job, eine Methode, die Tiere ruhig zu halten. Ein ehemaliger Cowboy berichtete: „Das Singen sollte [die Rinder] beruhigen und das tat es; ich weiß nicht warum, es sei, es war ein Geräusch, das von anderen, die sie vielleicht erschreckt hätten, ablenkte. Wenn man nicht sang, konnte jedes Geräusch in der Nacht – sei es ein Pferd, das sich schüttelte – sie dazu bewegen, durchzugehen; aber wenn man sang, merkten sie sie nicht. Die zwei Männer, die Wache schoben, ritten im Schrittempo in Kreisen und wenn es eine klare Nacht war und die Rinder schliefen und einer sang eine Strophe und sein Partner sang die nächste, und so ging es ganzes Lied .“ Die Reiter, die Nachtwache schoben, sangen oft Kirchenlieder oder Hymnen, aber egal welchen Inhalt die Lieder hatten, es waren Arbeitslieder. Die halfen den Cowboys ihre Aufgabe zu erledigen genau wie ein Shanty einem Seemann half.
Es gab natürlich Lieder, die während des Einfangens der Rinder vor dem Treck gesungen wurden, welche, die tagsüber wäherend des Trecks gesungen wurden und andere, die am Ende der Strecke gesungen wurden. Diese waren nicht unbedingt leise Lieder. Es gab Lieder zum Angeben, und natürlich gab es obszöne Lieder, die die Cowboys besonders liebten, die aber in kaum eine Sammlung Cowboylieder kamen. Balladen waren eher zur Unterhaltung gedacht als für die Kühe. Es dürfte nicht überraschen, da die erste Generation von Cowboys Veteranen des Bürgerkrieges war, daß die Ballade „Lorena“, die in beiden Armeen große Popularität genossen hatte, das meist gesungene Lied der Ära der Trecks war.
Es kann aber sein, das Cowboys nicht so viel sangen, wie der Mythos es uns glauben machen will. Liedersammler fanden nur selten einen Cowboy, der mehr als eine oder zwei Strophen eines Liedes singen konnte. Jack Thorp, ein Cowboy aus der Ära nach dem Ende der Trecks, erinnerte sich: „Es hieß immer, die Cowboys sangen viel um die schlafenden Rinder zu beruhigen. Oft bin ich danach gefragt worden und ich habe viele Nachtwachen geschoben in den fünfzig Jahren, und selten hörte ich derarten Gesang. Was man hörte, wenn man an den Partner vorbei ritt was ein tiefes Summen oder Pfeifen und man wußte gar nicht was es war. Sicher irgendeine alte Hymne, etwas, um die Zeit zu vertreiben und nicht schlimm genug um die Rinder zum Wegrennen zu bewegen.“ Er schrieb weiter: „Viel Gesang auf der Prärie hatte mit Cowboyliedern an sich gar nicht zu tun. In verschiedenen Lagern begegnete ich Eisenbahn-, Berg-, Fluß- und Farmerliedern, so wie klebrige sentimentale Balladen wie ‚Mollie Lou, Sweet Mollie Mine‘ und ‚My Little Georgie Man.‘“
Die Entstehung von Cowboyliedern war sicher keine bewußte Tat. „Fast nie wußte der Cowboy zu welcher Melodie er sein Lied sang; bloß irgendeine alte Melodie, die er gehört hatte und aus seiner Kindheit kannte. Bekannte Melodien wurden häufig benutzt.“ Die Ergebnisse, „waren nicht ‚kultivierte‘ Lieder. Manchmal haute es mit dem Reim nicht hin. Die Sprache war oft grob und mußte vor der Veröffentlichung bereinigt werden. Aber Balladen machen und Lieder singen waren aktive Teile des Lebens des Cowboys.“
Cowboylieder wurden in der Regel nicht von Gruppen gesungen, eine Tatsache, die möglicherweise das Gefühl der Einsamkeit in diesen Liedern erklärt. Der Cowboy-Poet Harry Stephens erinnert sich, „Ganz selten hörte man Cowboys zusammen singen. Im Allgemein hatte jeder seine eigene Melodie, die er alleine sang. Sie hatten unterschiedliche Herkunft, sie kannten unterschiedliche Fassungen der Lieder. Also mehr oder weniger rezitierten sie. Manche konnten keinen Ton halten, also sprachen sie die Lieder“
Jack Thorp bestätigt das. „Cowboylieder wurden stets von einer Person gesungen, nie von einer Gruppe. Nie hörte ich einen Cowboy mit einer wirklich guten Stimme, falls er mal eine gehabt hatte, verlor er sie weil er die Rinder immer anbrüllen mußte, weil er im Freien schlief, oder weil er dem Richter erklären mußte, daß er das Pferd nicht geklaut hatte.“ Instrumente gab es wenige, aber ein Viehtreiber hat geschrieben, „Es war eine armselige Mannschaft die nicht über wenigstens ein Fiedel oder Banjo verfügte und einen Mann, der darauf spielte. Manche spielten gut, manche weniger gut.“ Gelegentlich wurde ein Fiedel eingesetzt, um die Rinder nachts zu beruhigen.
Der Cowboy und der Westen sind schon lange romantisiert. Schon in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts erschienen sogenannte 10-Cent Romane, die eine romantische Sicht des Westens verbreiteten. Allein der Verleger Beadle and Adams veröffentlichte circa 2.200 Bücher derart. The Virginia von Owen Wister wurde zum Bestseller als er 1902 veröffentlicht wurde. Mit dem 20. Jahrhundert kam das Kino und „Western“ sind schon immer ein fester Bestandteil der Filmproduktion Hollywoods. Aus diesem Hunger nach dem „wilden Westen“ wuchs das Bild des singenden Cowboys im Film. Aber das Bild des Cowboys mit dem sauberen weißen Hut, den glänzenden silbernen -Colt und Gitarre hatte herzlich wenig mit der Arbeit des Cowboys sowohl während der Zeit der großen Trecks als auch später zu tun.
Der Anfang des Cowboyliedes als Genre war 1908 mit der Veröffentlichung von Jack Thorps Songs of the Cowboy und John A. Lomaxs Cowboy Songs and Other Frontier Ballads, übrigens mit neunzehn Liedern aus der Thorp Sammlung, zwei Jahre später gemacht. Thorp war selber Cowboy gewesen und schrieb eigene Lieder. Lomax war Akademiker. Sie retteten viele Lieder, die sonst bald verloren gegangen wären. Weil in Thorps Sammlung keine Musik veröffentlicht wurde und nur wenige Beispiele bei Lomax, ist es unmöglich festzustellen, welche Texte wirklich Lieder waren und welche Gedichte. 1920 veröffentlichte Lomax. Songs of the Cattle Trail and Cow Camp.
Carl Sprague, eine Sporttrainer, der in seinen jungen Jahren als Cowboy gearbeitet hatte, war der erste Cowboysänger, der eine kommerzielle Aufnahme machte. 1925 nahm er zehn Lieder für Victor auf. Eins davon, „When the Work’s All Done This Fall“, geschrieben von dem Cowboy-Dichter P. J. O’Malley in den 90er Jahren, verkaufte sich fast 100.000 Mal und bewegte die ehemaligen Cowboys Jules Verne Allen, Harry McClintock, und die Cartwright Brothers Lieder, die sie in ihrer Jugend gelernt hatte, aufzunehmen. Die arbeitenden Cowboys sangen notgedrungen in der Regel unbegleitet. Obwohl einige wenige der singenden Cowboys unbegleitet sangen, ließen die meisten sich von Gitarre, Fiedel oder Mundharmonika begleiten. Nach Spragues „Hit“ gab es keine weiteren kommerziellen Erfolge. Die meisten dieser singenden Cowboys sangen allerdings nicht aus dem Gedächtnis, sondern benutzten Versionen der Lieder, wie sie in den Liedersammlungen von John A. Lomax veröffentlicht wurden.
In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts hatte der Begriff „Hillbilly“ einen negativen Klang, aber der Cowboy hatte etwas Nobles an sich, was zu einem „Westernfieber“ führte. Ironischerweise war es Jimmie Rodgers, der die Aufmerksamkeit auf Cowboylieder lenkte, durch cowboyinspirierte Kompositionen wie das 1931 geschriebene „When the Castus is in Bloom,“ und den Cowboyhut, den er oft trug. Es war auch Rodgers, der den Jodel einführte. Die singenden Cowboys folgten ihm. Gene Autrey, der als Rodgers-Imitator begann und der mehr als neunzig Filme drehte, war der erste und erfolgreichste des Genres. Autreys Erfolg schuf eine Cowboykulturindustrie und sorgte für zahlreiche singende Cowboys. Tex Ritter spielte die Hauptrolle in mehr als fünfzig Filme, sogenannte „Pferdeopern.“
Autreys Hauptrivale aber war Roy Rogers, der als Mitglied der Gruppe Sons of the Pioneers begann, und nach dem Ende der Ära der Filme mit den singenden Cowboys, jahrelang eine populäre Fernsehsendung hatte. Andere singende Cowboys, wie Wilf Carter, in den USA als Montana Slim bekannt, und Patsy Montana wurde auch ohne Filmrollen bekannt. Die Gruppe mit der längsten Geschichte ist die der Sons of the Pioneers, die im Jahre 1933 ihren Anfang hatte. Ihr ausgefeilter Harmoniegesang wurde zur Verkörperung des Cowboygesangs. Aber die singenden Cowboys waren alles andere als Cowboys, die sangen. Die glatten Stimmen, die Orchesterbegleitung und die phantasievollen Lieder, viele direkt von Tin Pan Alley, machten sie populär, aber sie hatten nichts gemeinsam mit der Cowboyvergangenheit oder -gegenwart.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Cowboystil wenn auch nicht unbedingt ihre Lieder Mode bei der „country and western music“. Hank Williams trug „western“ Anzüge, Cowboyhüte und nannte seine Band, „the Drifting Cowboys.“ Hank Snow war der „Singing Ranger“. Johnny Cash nahm Lieder über den Western auf. Viele „western“ Sänger aber suchten ihr Heil eher beim „country-Teil“ von „country and western“. Trotz Marty Robbins LP Gunfighter Ballads and Trail Songs und Eddie Arnolds Hit mit „Cattle Call“ verschwand das „western“ immer mehr.
Im Rückblick erinnert sich Tom Russell an andere, weniger bekannte Sänger, wie Ramblin‘ Jack Elliott und Peter LaFarge, die die Tradition der Cowboylieder vor der Vergessenheit bewahrten. Cisco Houston müßte man hinzufügen. Während der sechziger und siebziger Jahre starb das Interesse an Cowboylieder nie aus und es wurden einige Liedersammlungen veröffentlicht. Unter anderen erschienen: Songs of the Great American West, edited by Irwin Silber, 1967; Songs of the American West, compiled and edited by Richard E. Lingerfelder, 1968; The Hell-Bound Train: A Cowboy Songbook, collected by Glenn Ohrlin, 1973; Git Along, Little Dogies, by John I. White, 1975; Ten Thousand Goddam Cattle, by Katie Lee, 1976. Es war aber erst in den achtziger Jahren, daß ein „Cowboy Renaissance“ begann.
Vom 31. Januar bis 2. Februar 1985 fand das erste Treffen von Cowboydichtern statt, das „Cowboy Poetry Gathering“ in Elko, Nevada. Hunderte von Cowboys und Cowgirls aus den meisten Bundesstaaten des Westens nahmen daran teil, lasen alte und neue Gedichte vor, sangen ihre eigenen und auch Lieder von anderen. Veranstalter war das Western Folklife Center, das sein Hauptquartier jetzt in Elko hat.
Michael Martin Murphy spielte eine wichtige Rolle als er von der Popmusik in das Cowboygenre wechselte. 1989 überzeugte er Warner Brothers eine Sammlung „western“ Lieder aufzunehmen. Cowboy Songs wurden ein kommerzieller Erfolg. Das Resultat war 1992 die Gründung von Warner Western, ein Label spezialisiert auf die Musik des Westens. Die ersten Künstler, die unter Vertrag genommen wurden waren Don Edwards, Cowboydichter Waddie Mitchell und die Sons of the San Joaquin.
Aus der Cowboyrenaissance wuchs eine ganze Infrastruktur der Cowboy-Subkultur, alternative Verkaufsstellen, eine starke Live-Szene und Basismarketing. Der Film Der Pferdeflüsterer von Robert Redford, in dem Don Edwards eine Rolle spielte, war gute Werbung.
Die Western Music Association wurde 1989 gegründet und veranstaltet das International Western Music Festivel jeden November in Tucson, Arizona. Mehr als 160 Künstler und Gruppen sind Mitglieder der Association.
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